Lisickis Tennis-Märchen in Wimbledon zu Ende

London (dpa) - Erst verteilte sie ein letztes Küsschen ins Publikum, dann hielt sie sich das Handtuch vors Gesicht: Dem wundersamen Wimbledon-Märchen der deutschen Himmelsstürmerin Sabine Lisicki blieb das Happy End verwehrt.

15 Jahre nach Steffis Grafs letztem Turniersieg auf dem Heiligen Rasen verpasste die 21-Jährige am Donnerstag durch das 4:6, 3:6 gegen die große Turnierfavoritin Maria Scharapowa das Finale der All England Championships. „Es war ein Superturnier. Es ist aber schade, dass ich heute meine Chancen nicht genutzt habe“, sagte die keineswegs frustrierte Lisicki und kündigte kampfeslustig an. „Ich habe noch viele Jahre vor mir.“

Drei Stunden nach der Niederlage hatte die 21-Jährige doch noch Grund zu jubeln. Gemeinsam mit ihrer australischen Partnerin Samantha Stosur zog sie gut gelaunt ins Doppel-Halbfinale ein und wahrte ihre letzte Titelchance. Kurz zuvor hatte ihr Vater und Trainer Richard Lisicki bereits betont: „Die Enttäuschung hält sich in Grenzen. Sie ist stolz darauf, dass sie zurück in der Weltspitze ist.“

Über das Ende ihres fantastischen Turniers muss sich Lisicki in der Tat nicht grämen. Die Aufsteigerin des Jahres hat an der Church Road bewiesen, dass sie im Konzert der Großen mitspielen kann. Der Vorstoß von Rang 100 auf Platz 27 binnen vier Wochen zeugt davon, zudem kann sich die Wild-Card-Inhaberin mit einem Preisgeld von gut 307 000 Euro trösten. „Sabine hat ein Superturnier gespielt. Ich bin mir sicher, dass der ganz große Coup irgendwann kommen wird“, bilanzierte Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner.

Im Finale trifft Scharapowa sieben Jahre nach ihrem ersten Wimbledon-Sieg am Samstag auf die Weltranglisten-Achte Petra Kvitova. Die Tschechin bezwang die Weißrussin Victoria Asarenka mit 6:1, 3:6, 6:2 und steht nun vor dem bisher größten Match ihrer Karriere.

Um 15.04 Uhr Londoner Zeit betraten Lisicki und Scharapowa an einem „großen Tag für Tennis-Deutschland“, so Sky-Experte Boris Becker, bei strahlendem Sonnenschein den Centre Court. Und Lisicki zeigte sich sofort hellwach. Problemlos brachte die Weltranglisten-62. ihre erstes Service-Spiel durch, direkt im Anschluss nahm sie der Russin zu Null den Aufschlag ab.

„Mit ihrem gewaltigen Aufschlag wird Lisicki für Scharapowa eine echte Gefahr sein“, hatte Becker prophezeit. Und der dreimalige Champion schien anfangs recht zu behalten. Die erste deutsche Grand-Slam-Halbfinalisten seit Grafs letztem Auftritt an der Church Road 1999 spielte unbeschwert auf, demonstrierte bis zur 3:0-Führung Power-Tennis vom Allerfeinsten. „Sabine spielte wirklich gut. Es war hart“, sagte Scharapowa.

Gegen ihre dritte Top-Ten-Gegnerin bei diesem Turnier jagte Lisicki ihre Aufschläge mit bis zu 200 Stundenkilometern übers Netz, immer wieder schlug Lisickis krachende Vorhand direkt vor der Grundlinie ein. Und Scharapowa war sichtlich beeindruckt, leistete sich vier Doppelfehler allein in den ersten beiden Aufschlagsspielen. Doch dann brachte Lisicki, 2010 monatelang wegen einer Verletzung am Sprunggelenk ausgefallen, die dreifache Grand-Slam-Siegerin mit leichten Fehlern wieder ins Spiel. „Da hat sich ein bisschen die Handbremse eingestellt“, analysierte Rittner.

Statt den Breakball zum 4:0 zu nutzen, stand es urplötzlich 3:3 - es war der Knackpunkt der Partie, die sich nun zugunsten Scharapowas drehte. Die 24-Jährige steigerte sich parallel zu ihrem lauter werdenden Gequieke, nahm Lisicki zum 5:4 den Aufschlag ab und holte sich mit ihrem ersten Ass nach 43 Minuten die Satzführung.

Im zweiten Durchgang gelangen der Russin, die sich ohne Satzverlust ins Finale spielte, zwei frühe Breaks zum 1:0 und 3:0. Es war die Entscheidung. Nach elf Siegen auf Rasen in Serie musste Lisicki einsehen, dass Scharapowa in der aktuellen Form noch eine Nummer zu groß ist. Bald kann dies aber schon anders aussehen. „Wir hoffen alle, dass sie die neue Steffi Graf ist“, sagte Becker. Deutschlands Nummer 1, Andrea Petkovic, twitterte kurz nach dem Match: „Schade, Olle! Trotzdem geiles Turnier und willkommen zurück in der Spitze. Drei Deutsche in den Top 30, das lässt sich sehen!“

Für den Bayreuther Philipp Petzschner und seinen Doppelpartner Jürgen Melzer ging derweil das Projekt Titelverteidigung zu Ende. Das deutsch-österreichische Duo unterlag im Viertelfinale den topgesetzten Brüdern Bob und Mike Bryan (USA) mit 3:6, 4:6, 4:6.