„Queen Victoria“: Kreischend auf Platz eins
Melbourne (dpa) - Im „magischsten Moment“ ihrer Karriere wurde die sonst so laute Victoria Asarenka ganz still. Erst versagte der neuen Nummer eins des Damen-Tennis komplett die Stimme, dann dankte sie ganz leise ihrer Oma.
„Sie ist der Mensch, der mich in meinem Leben an meisten inspiriert hat“, sagte Asarenka nach ihrem ersten Grand-Slam-Sieg bei den Australian Open. Mit 6:3, 6:0 fegte sie die Russin Maria Scharapowa vom Platz, letztmals gewann Steffi Graf in Melbourne ein Endspiel noch deutlicher. Die „Gräfin“ fertigte die Spanierin Arantxa Sánchez-Vicario 1994 mit 6:0, 6:2 ab.
Das vorher wegen des Gestöhnes und Gekreisches der beiden Kontrahentinnen zum lautesten Finale der Geschichte aufgebauschte Duell um den Tennis-Thron war bereits nach 82 Minuten beendet. Als Scharapowa mal wieder eine Rückhand ins Netz geschlagen hatte, sank Asarenka auf die Knie und hob immer wieder fragend die Arme. „Ich kann es noch gar nicht fassen. Heute wird ein Traum wahr“, sagte die Weißrussin.
Dass sie in der Metropole am Yarra River überhaupt ihren endgültigen Durchbruch schaffte, verdankt Asarenka unter anderem ihrer Großmutter. Vor rund einem Jahr spielte die Modelathletin kurzzeitig sogar mit dem Gedanken, den Tennisschläger aus der Hand zu legen. Der Saisonstart war nicht so verlaufen, wie von ihr erhofft. Der Spaß am Tennis war wie weggeblasen.
Schon früher wurde die sonst durchaus burschikos auftretende Asarenka häufig von Selbstzweifeln geplagt. Immer wieder versagten ihr auf dem Platz in den entscheidenden Momenten die Nerven. Doch ihre Oma hielt sie von einer Kurzschlussreaktion ab. „Sie hat immer hart gearbeitet. Da habe ich mir gedacht: He, hör auf zu jammern“, erzählte die 22-Jährige. „Es war eine kluge Entscheidung, nicht aufzuhören, oder?“, rief sie den Zuschauern in der Rod Laver Arena zu.
Direkt am Samstagabend konnte sie noch nicht Kontakt mit ihrer geliebten Großmutter aufnehmen. „Da ist immer irgendeine chinesische Frau am anderen Ende der Leitung, die mir irgendetwas erzählt. Also definitiv nicht die richtige Person“, scherzte „Queen Victoria“ (Herald Sun). Doch wenn sie in ihre Heimat zurückkehrt, wird „sie einen Haufen Geschenke“ für ihre Verwandten dabei haben. Mit 1,86 Millionen Euro Preisgeld in der Tasche kein Problem.
In Weißrussland wird sie jetzt erst recht als Nationalheldin verehrt. Der autoritäre Staatschef Alexander Lukaschenko verlieh ihr den drittwichtigsten Orden des Landes und schrieb in einem Telegramm: „Mit deinem heißen Tennis-Kampf hast du im Januarfrost unsere Herzen angezündet.“ Es ist nicht das erste Mal, dass sich der oft als letzte Diktator Europas bezeichnete Lukaschenko im Glanz der Tennis-Schönheit sonnt.
Die hatte am Sonntag noch eine Aufgabe zu meistern, die ihr schwerer fiel, als der unerwartet leichte Sieg gegen Scharapowa. Bei rund 35 Grad Hitze posierte sie am Yarra River mit dem Pokal für das traditionelle Foto-Shooting. Dabei kam sie mehr ins Schwitzen als am Abend zuvor.
Die Frage, die sich nun stellt: Kann sich die Weißrussin im so wechselvollen Damen-Tennis längere Zeit an der Spitze halten? Nach ihrem Erfolg gibt es nun vier verschiedene amtierende Grand-Slam-Siegerinnen, die zudem noch alle jeweils ihren ersten Titel gewonnen haben: Neben Asarenka die Chinesin Na Li (French Open), die Tschechin Petra Kvitova (Wimbledon) und die Australierin Sam Stosur (US Open). „Genieße es, so lange du kannst“, rief ihr Scharapowa daher zu. Auch die frühere Nummer eins ist trotz des Debakels weiter eine Kandidatin für den Tennis-Thron.