Meinung Löw musste zum Umbruch getragen werden – jetzt muss er ihn leben

Meinung · Kein Zweifel: Die vier Tage von Amsterdam und Paris mit Niederlagen in der Nations League gegen die Niederlande und Frankreich haben die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verändert.

Bundestrainer Joachim Löw musste zum wiederholten Male zu seinem Glück gezwungen und zur rechtzeitigen Veränderung getragen werden.

Foto: dpa/Ina Fassbender

Vermutlich revolutionieren sie das ganze DFB-Gebilde sogar intensiver und vor allem nachhaltiger, als das die blamabel absolvierte Weltmeisterschaft in Russland zu tun vermochte. Und man darf getrost sagen: Es wurde dafür höchste Zeit.

Für den Bundestrainer Joachim Löw allemal: Der 58-Jährige musste zum wiederholten Male zu seinem Glück gezwungen und zur rechtzeitigen Veränderung getragen werden. Löw hatte genau diese eine Chance, sein Ansehen innerhalb der deutschen Fußball-Welt nicht komplett zu verspielen. Und er hat sie in Paris leidlich genutzt: einzig und allein mit der Aufstellung einer Mannschaft, die viel mehr Zukunft als Vergangenheit in sich trägt.

Verwundern darf es Löw trotzdem nicht, wenn seine Kritiker in dem zweifelsfrei guten deutschen Auftritt von Paris einer im Kern veränderten Mannschaft viel mehr Argumente gegen als für den Trainer finden können. Warum nicht früher, Joachim Löw, warum nicht mutiger? Warum nicht ambitionierter? Wo waren Mut, Anspruch und Leistungsgedanke der Vergangenheit so lange versteckt?

Dass DFB-Präsident Grindel und Ligachef Rauball nach dem 1:2 in Frankreich voller Erleichterung in die Kabine eilten, um Leistung und Mannschaft zu loben, sagt aus, wie sehr Führung und Trainer unter dem Druck der Öffentlichkeit standen. Ärgerlich, dass Löw nach dem Spiel noch einmal zurück in alte Argumentationsmuster fiel, als er wieder über Fehler junger Spieler referierte und das Hohelied der Erfahrung posaunte. Es ist schlicht der falsche Zeitpunkt für vermeintlich Karriere fördernde Bremsmanöver. Die junge Generation scharrt mit den Hufen.

Olaf Kupfer.

Foto: Sergej Lepke

Kein Zweifel: Löw hat sich Luft verschafft, jetzt aber muss er diesen Erneuerungsprozess konsequent und viel aktiver als in den vergangenen Wochen vorantreiben. Mit Spielern wie Süle, Kehrer, Gnabry, Sané und Brandt, mit Draxler, Havertz oder weiteren Neulingen wie Maximilian Eggestein oder Philipp Max, die alle nicht fertig sind, aber roh und ungeschliffen jede Menge Perspektive und Lust auf Zukunft bieten. Welche schöneren Aufgaben für einen Trainer gibt es, als einen Diamanten wie Sané zu bearbeiten – und ihn eben nicht fortwährend zu zerreden?

Nur wenn Löw in dieser Aufgabe eine große Chance sieht, statt in ihr Belastung empfindet, hat er eine Chance, der Nationaltrainer für diese neue Generation zu sein. Die Öffentlichkeit wird das weiter sehr aufmerksam beobachten. Der Trainer läuft auf Kredit. Aber das Beste für ihn: Er hat das alles noch in der Hand. Wie an diesem Dienstagabend in Frankreich, der in fernerer Zukunft mal als echte Wegmarke für eine neue Fußballnationalmannschaft gelten könnte.