Bayern-Stürmer auf der Jagd nach dem Liga-Torrekord Wie Lewandowski einen echten Kult zerstört

Meinung | Düsseldorf · Warum die vielen Tore des polnischen Nationalstürmers nicht nur schön, sondern auch schade sind.

Robert Lewandowski jagt den Rekord von Gerd Müller.

Foto: dpa/Matthias Schrader

Hauptsache Rekord. Kein Verein in Europa ist in einer ernst zu nehmenden Liga so oft hintereinander Meister geworden wir der FC Bayern München in der  Fußball-Bundesliga. Sieben Titel in kaum 18 Monaten - kein Trainer auf der ganzen Welt ist erfolgreicher als Hansi Flick. Aber der Rekorde sind noch nicht genug. Der FC Bayern will mehr. Angetrieben vom Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge soll auch noch die Torjäger-Kanone der Saison in die Allianz-Arena. Und nicht nur das. Was wäre es schon wert, dass Robert Lewandowskis wieder die meisten Treffer in einer Saison erzielt. Das hat er doch bereits so oft getan. In der Gier nach Bestmarken muss es diesmal eine Marke für die zweite Ewigkeit sein.

Den Lorbeerkranz für die erste Ewigkeit trägt ja schon ein anderer, ein Held, ein tragischer Held, der Bomber der Nation, der Mann, der Deutschland 1974 zum Fußball-Weltmeister machte, der Mann, der heute, im Alter von 75 Jahren und schwer erkrankt, nur noch auf den Tod zu warten scheint. Gerd Müller ist der Mittelstürmer der Fußball-Bundesliga. Er ist der Spieler, der den FC Bayern in den 1970er-Jahren zum Maß der Dinge in Fußball-Europa machte. Die ersten drei Titel im Uefa-Landesmeister-Pokal sind eng mit seinem Namen verbunden. Tschik Cajkovski nannte ihn liebevoll „kleines, dickes Müller“. Und die Beschreibung passte, zumindest scheinbar. Gerd Müller wusste meistens Sekunden vor seinen Gegnern und vermutlich auch vor dem Ball, wo der letztlich landen würde. Er war flink, beweglich, der tiefe Schwerpunkt verschaffte ihm eine Standfestigkeit, durch die ihn kein Vorstopper aus dem Fünfer entfernen konnte. So schoss Gerd Müller Tor um Tor, knallte den Ball ins Eck, bugsierte ihn im Fallen, im Liegen, mit dem Rücken zum Tor oder sonst wie hinter die Linie. 40-mal gelang ihm das in der Spielzeit 1971/72. Gerd Müller erzielte damals mithin beinahe jedes zweite der insgesamt sagenhaften 101 Tore des Deutschen Meisters.

Gerd Müllers Karriere ist ein Auf und Ab. Der großen Zeit beim FC Bayern folgte ein Abstecher in die damalige US-Amerikanische Operettenliga. Die Fort Lauderdale Strikers waren dort Müllers Arbeitgeber. Aber so recht wollte der Mann aus Bayern mit den Menschen in den USA nicht warm werden. Auch der Abstecher ins Restaurantgewerbe war nicht der Weisheit letzter Schluss. Ein Leben in der Welt der Prominenten war nicht das Leben, des Mannes aus Nördlingen, der immer erst auf dem Rasen Vertrauen zu sich gewann. Selbstzweifel, Heimweh, Alkohol, es ging dahin mit Gerd Müller. Und es hätte wohl ein schlimmes Ende genommen, hätte sich Uli Hoeneß nicht des einstigen Wunderstürmers erbarmt. Seine letzten Jahre im Fußballgeschäft verbrachte Müller gefestigt und wieder angekommen im Trainerstab des FC Bayern, immer hoch respektiert, anerkannt und sehr gemocht. Der bescheidene Gerd, der Straßenfußballer mit dem Killerinstinkt, die schüchterne Tormaschine ist mit Bayern München so verbunden wie Franz Beckenbauer und Sepp Maier. Sein einmaliger Torrekord hat ihn unvergessen gemacht. Bisher.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass nun ausgerechnet einer seiner Nachfolger bei Bayern München, angetrieben und angefeuert von den Vereinsoberen, den kleinen großen Gerd Müller in die Vergessenheit schießt. Zwei Tore fehlen Robert Lewandowski noch, zwei Tore, dann ist der ohne Zweifel beste Stürmer der aktuellen Fußballwelt der neue beste Torjäger der Fußball-Bundesliga. Denn redet bald niemand mehr über Gerd Müller, wenn es auf der Zielgeraden einer Saison darum geht, wer sich die Torjäger-Kanone sichert. Das ist die Kehrseite der Medaille, die Robert Lewandowski sich nach dieser Saison mit allem Fug und Recht um den Hals hängen wird. Schön und schade zugleich.