Historie: Erik, die Weltmeisterin
1966 gewann Erika Schinegger den Titel in der Abfahrt. Danach startete sie in ihr Leben als Mann — und wird am Mittwoch 65 Jahre alt.
Agsdorf. Für Erik Schinegger gibt es ein Davor und ein Danach. Als Erika wurde er 1966 im chilenischen Portillo Weltmeisterin in der alpinen Abfahrt — seit 1968 lebt er in seinem Heimatdorf Agsdorf in Kärnten als Mann. Biologisch war er schon immer männlich. Weil seine Geschlechtsteile aber nach innen gewachsen waren, hieß es von Geburt an, er sei ein Mädchen.
Und so teilt sich die Geschichte Schineggers in „zwei Leben“. Das „a“ im Namen fehlt seit 45 Jahren. Abgeschlossen ist das Davor für ihn aber noch immer nicht. Denn auch nun, vor seinem 65. Geburtstag, sagt er: „Mein Name ist Erik Schinegger. Ich bin ein Mann.“
Schinegger macht das nicht, weil er will. Sondern, weil er das Gefühl hat, er muss. „Es passiert mir immer wieder, das Eltern zu ihren Kindern tuscheln, ‘du, das war mal eine Frau’“, erzählt er von Situationen aus seinem Alltag als Skilehrer auf der Simonhöhe. „Es tut immer noch ein bisserl weh.“ Auch alte Freundinnen aus der Nationalmannschaft, wie etwa Olga Pall, die 1968 in Grenoble Abfahrts-Olympiasiegerin wurde, beziehen sich laut Schinegger noch immer auf „Erika“.
Dabei ist der Skilehrer und Gastronom mit den grauen kurzen Haaren stolz auf sich. „Ich bin oft selbst von mir überrascht worden, wie mutig ich war“, berichtet Schinegger, der in zweiter Ehe verheiratet und Vater einer erwachsenen Tochter ist. Unterstützung vom Österreichischen Skiverband (ÖSV), dessen Aushängeschild er als Weltmeisterin war, habe er keine bekommen. Dabei war es auch der Verband selbst, der sein Leben kräftig durcheinanderwirbelte.
Vor den Winterspielen 1968 wurden Geschlechtskontrollen aufgrund Vorgaben des IOC verbindlich. In der Folge brachte der ÖSV seine Vorzeigeathletin nach eigenen Untersuchungen dazu, sich aus „persönlichen Gründen“ vom Damenteam zu verabschieden. Schinegger entschied sich zu den notwendigen Operationen. Bereits als Kind habe er lieber Traktoren statt Puppen gehabt.
Allerdings: „Ich bin fast 20 Jahre als Erika herumgelaufen, es gibt gewisse Sachen, die kann ich nicht mehr umändern. Was du im Kindesalter erlernst, das bleibt“, beschreibt er die Schwierigkeiten im zweiten Leben. Kraft habe ihn vor allem gekostet, dass er sich und sein Schicksal nicht erklären konnte. „Die Presse, die Sender, alle haben plötzlich einen Bogen um mich gemacht.“
Trotzdem arbeitete sich Schinegger in der Herren-Konkurrenz nach eigenen Angaben bis zu Rennen im Europacup durch. Inzwischen gibt es ein Buch und einen Dokumentarfilm über sein Leben. Er habe sogar eine Nominierung für ein Weltcup-Rennen gehabt („Sie mussten, weil die Ergebnisse stimmten“), das sei aber wegen des Wetters abgesagt worden. In der Datenbank des Skiweltverbands taucht seine Karriere als Erik nicht auf.
Auch in den Ranglisten der WM in Portillo (Chile) steht der Name Schinegger nicht mehr, als Weltmeisterin wird die Französin Marielle Goitschel geführt. Der Titel ist ihm aber scheinbar nie offiziell aberkannt worden. „Ich habe nur anlässlich meiner Buchpräsentation 1988 der damaligen Zweiten, Marielle Goitschel, meine Goldmedaille gegeben. Die hat sie mir dann aber fünf Jahre später wieder zurückgegeben“, berichtet Schinegger. Heute liege die Medaille in seiner Vitrine — als Andenken an das Davor.