Mit 41: Pechsteins Medaillenhunger nicht gestillt
Sotschi (dpa) - Das Lächeln verflog auch am späten Abend nicht aus ihrem Gesicht, doch die rauschende Party fiel aus. Kein Alkohol, keine Siegesgesänge - Claudia Pechstein genoss ihre unverhoffte Bronzemedaille bei der WM in Sotschi professionell wie immer.
„Ich habe noch zwei wichtige Rennen, am Sonntag bleibt noch genügend Zeit zu feiern“, meinte die fünfmalige Olympiasiegerin, nachdem sie über 3000 Meter ihre 58. Medaille bei Großereignissen gesammelt hatte. Am Samstag folgt ihre Spezialdistanz 5000 Meter, auf der ihr nun beste Chancen eingeräumt werden, am Sonntag die Team-Verfolgung.
Beim Abendessen im kleinen Kreis konnte die 41 Jahre alte Berlinerin kaum in Ruhe einen Bissen herunterbringen, weil die Glückwünsche im Athletenhotel „Vesna“ kein Ende nehmen wollten. Jenny Wolf schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf und sprach aus, was auch andere Gratulanten aus aller Welt kaum für möglich gehalten hatten: „Was für eine Schlussrunde, das war echt begeisternd“. In 32,6 Sekunden für die letzten 400 Meter hatte Pechstein die schnellste Runde der gesamten Konkurrenz hingelegt und sich doch noch die Medaille gesichert.
Von wegen Eis-Oma. „So etwas ist nur möglich, wenn Du diesen Sport liebst, für ihn lebst und wenn Du das Herz eines Champions hast“, lobte der Amerikaner Peter Mueller, ihr früherer Coach, der jetzt die Kasachen betreut.
Gleich nach dem Essen unterzog sich Pechstein einer Massage beim Physiotherapeut Paul Vodermair. „Diese Frau ist der Wahnsinn. Mit 41 Jahren eine solche Muskulatur, ich bin begeistert“, stellte Vodermair fest. Selbstverständlich gehörte auch ihr inzwischen pensionierter Trainer Joachim Franke zu den Gratulanten. „Wenn mir das vor Jahren einer erzählt hätte, dass man mit 41 noch zu Medaillen laufen kann, hätte ich es nicht geglaubt. Aber Claudia hat eine solide Basis. Ihre Schlussrunde zeigt, dass sie für die 5000 Meter noch Reserven hat“, meinte Franke, der in Berlin mit seinem Ex-Schützling mitzitterte.
Für eine weitere Überraschung des Abends hatte Pechsteins Gegenspieler Jan Dijkema, der Vizepräsident der Internationalen Eislauf-Union ISU, gesorgt, als er sie bei der Siegerehrung so herzlich wie nie umarmte und küsste - das darausentstandene Foto wurde in der niederländischen Tageszeitung „De Telegraaf“ sogar zum Aufmacher. Wie skeptisch sein Verband jedoch Pechstein auch nach Ablauf ihrer Zwei-Jahressperre beäugt, belegen 107 Doping-Kontrollen in zwei Jahren - so viele wie bei keinem anderen Athleten. Auch in Sotschi war Pechstein die einzige im deutschen Team, die vor der WM zur Blutkontrolle bestellt wurde.
Obwohl sie sich nun ihr WM-Ziel schon erfüllt hat, ist der Medaillenhunger der streitbaren Ausnahmeläuferin noch nicht gestillt. „Ich bin in guter Form. Und ich bin sicher, ich werde künftig noch stärker sein“, tönte Pechstein, auch mit Hinblick auf Olympia 2014.
Ob sie der oft kritisierte „Zickenzoff“ mit Stephanie Beckert aufs Podest getrieben habe, wollte Pechstein nicht bestätigen. Ihr Zeigefinger auf dem Mund während der Ehrenrunde war jedoch ein deutliches Zeichen in Richtung ihrer Kritiker. Die Komplimente von Bundestrainer Stephan Gneupel, in Personalunion auch Heimcoach von Stephanie Beckert, taten gut. „Sie hat sich die Medaille redlich verdient. Nun werden wir sehen, was über 5000 Meter möglich ist“, meinte der Erfurter. Er hofft natürlich, dass auch Stephanie Beckert auf ihrer Spezialstrecke wieder den Weg aus dem Tief findet.
Die enttäuschte Olympiasiegerin führte ihr Abschneiden mit Platz sieben auf die Attacken Pechsteins zurück. „Die Anfeindungen dauern ja schon länger an. Der Verband muss das jetzt nach der WM klären. Er darf sich das nicht gefallen lassen“, forderte die Thüringerin. Pechstein hielt sich mit weiterer Kritik oder Aussagen der Genugtuung diesmal zurück.