Pechstein dämpft Erwartungen vor BGH-Urteil

Karlsruhe (dpa) - Claudia Pechstein bangt wieder einmal vor einem Urteil, aber diesmal geht es nicht nur um sie. Wenige Minuten wird die Verkündung des Urteils KZR 6/15 am Dienstag ab 09.00 Uhr im Saal E 101 des Bundesgerichtshofs dauern.

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Doch nicht nur für das Leben der fünfmaligen Eisschnelllauf-Olympiasiegerin könnten die Sätze der Vorsitzenden Richterin und BGH-Präsidentin Bettina Limperg in Karlsruhe immense Bedeutung haben.

„Für mich hat sich in den drei Monaten des Wartens auf das Urteil nichts verändert. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass am Ende die Gerechtigkeit siegen wird“, sagte die 44 Jahre alte Berlinerin am Montag der Deutschen Presse-Agentur. „Aber ich blicke dem BGH-Urteil mit keinerlei Erwartung entgegen. Dafür habe ich vor Gericht schon zu viele Enttäuschungen erlebt“, fügte sie hinzu.

Daher entschied sie erst am späten Montagabend, dass sie zur Urteilsverkündung reisen wird. Angesichts der riesigen Tragweite des Urteils hätte zuvor ihr Manager Ralf Grengel um Verständnis geworben, falls „zu Hause auf das Urteil warten und sich nicht der öffentlichen Aufmerksamkeit aussetzen möchte“.

Die beste deutsche Eisschnellläuferin erhofft sich von der Entscheidung des höchsten deutschen Zivilgerichts nicht nur bessere Chancen auf fünf Millionen Euro Schadenersatz für ihre Dopingsperre ohne positiven Befund durch den Eislauf-Weltverband ISU. Ohne Kommentar im Vorfeld schauen die Verbands-Funktionäre, die derzeit in Dubrovnik ihren Wahl-Kongress abhalten, auf das Urteil von Karlsruhe. Stets argumentierte der Verband, dass Pechstein ja schon vor ihrem Gang vor die Schiedsgerichte ein Zivilgericht hätte anrufen können.

„Das geht an der Realität vorbei“, weist Pechstein-Anwalt Thomas Summerer diese Argumentation zurück. „Jeder weiß, dass Athleten vor einem Wettkampf nicht um die Unterschrift unter die Schiedsgerichtsvereinbarung herumkommen.“ Es habe sich im Schadenersatzprozess vor dem Oberlandesgericht München herausgestellt, dass „auch Sportler Grundrechte haben. Uns geht es darum zu zeigen, dass Sportler nicht Menschen zweiter Klasse sind.“ Ein Aufschieben des Urteils durch den BGH schließt der Münchner aus. „Es wird eine Entscheidung geben.“

Pechstein lenkte sich indes am Sonntag beim Halbmarathon in Görlitz von der nervlichen Anspannung der vergangenen Wochen ab - und gewann. Schon vor der Verhandlung am 8. März, bei der das Gericht noch keine Andeutungen in Richtung eines Urteils machte, war sie nach eigenen Angaben in schlaflosen Nächte von Weinkrämpfen geschüttelt gewesen.

Zwar weiß sie, dass die Revisions-Annahme ihrem Kampf einen Dämpfer versetzen würde. Aber sie sagt: „Ganz gleich, wie das Urteil ausfällt, der Prozessmarathon ist für mich nicht zu Ende. Sollten die Richter die Revision der ISU zulassen, werde ich vor dem Bundesverfassungsgericht um meine Grundrechte kämpfen.“ Dann wären ihre Chancen jedoch ungleich geringer.

Sollte sie aber den bisher bedeutendsten Etappensieg landen, käme dies einem Beben der Sportgerichtsbarkeit gleich. Die „New York Times“ schrieb von erwarteten „Schockwellen“ für Sportgerichte, Sportrechtler vergleichen eine solche mögliche Entscheidung schon mit dem Bosman-Urteil im Profifußball. Der belgische Fußball-Profi Jean-Marc Bosman profitierte zwar kaum persönlich von seinem Sieg vor dem Europäischen Gerichtshof, revolutionierte aber die Transfer-Praxis in der Fußball-Welt.

„Sportgerichte bleiben unersetzbar, aber sie müssen ausgewogener entscheiden“, forderte Sportrechtler Michael Lehner Reformen im CAS und erhofft sich Rückenwind durch das Urteil. Künftig hätten dann Sportler die Wahlmöglichkeit zwischen Sport- und Zivilgerichten. „Nur noch völlig neutrale Sportgerichte sollten sich der Streitfälle annehmen. Dazu müsste sich die Zusammensetzung des CAS gravierend ändern“, unterstrich Summerer und ist sich sicher: „Dieses Urteil wird Geschichte schreiben.“

Während Pechstein jegliche Euphorie dämpft, sehen Sportler mit Zuversicht dem BGH-Spruch entgegen. „Am Dienstag wird dem Sport seine Schiedsgerichtsbarkeit um die Ohren fliegen. Es wird die größte Umwälzung im Sportrecht seit 21 Jahren bedeuten“, schrieb der frühere Basketball-Nationalspieler Johannes Herber in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Herber kämpft heute als Mitarbeiter eines europäischen Gewerkschaftsverbandes für die Rechte von Sportlern.