Technik-Teufel Hirscher wie Tomba zum Alpin-Thron
Adelboden (dpa) - Marcel Hirscher war einfach nur „müde, müde, müde“. Vor dem Anlauf zu seinem vierten Technik-Coup in Serie beim Slalom in Wengen will der 22-Jährige zur Entspannung „vielleicht in die Therme“.
Eines hat er trotz seiner klaren Führung im Gesamtweltcup und der langfristigen Chance auf die erste Große Kugel eines Österreichers seit sechs Jahren aber auf keinen Fall im Sinn: Den Start bei der Super-Kombination - bestehend aus seiner Paradedisziplin Torlauf und einer Abfahrt - am Freitag. „Naaa, Angst“, wehrte er jede Ambition auf das schnelle Rennen auf der berüchtigten Laubernhorn-Schussfahrt ab.
230 Punkte beträgt aber auch ohne Abfahrt, Super-G und Kombination sein Vorsprung auf den Kroaten Ivica Kostelic. Doch während der Kroate in allen fünf alpinen Spielarten Zähler einheimst, will Hirscher seinen 1,73 Meter großen und 77 Kilogramm schweren Körper noch nicht im jungen Rennfahreralter auf den Speed-Pisten verheizen. „Die Frage ist, ob man irgendwann den Gesamtweltcup erzwingen will“, meinte der fünffache Saisonsieger, der als erster Athlet seit dem Schweden Ingemar Stenmark 1978 die ersten drei Rennen eines Jahres gewann. „Das würde aber bedeuten, dass ich Slalom und Riesentorlauf vernachlässigen müsste. Das will ich aber nicht.“
Ob man dennoch wie zuletzt Italiens Ski-Legende Alberto Tomba 1994/95 den größten Weltcuppreis nur mit Starts in zwei technischen Disziplinen holen könne, wurde Hirscher zuletzt immer wieder gefragt. „Wenn man gut ist“, seine schlagfertige Antwort. Und der Annaberger ist derzeit mehr als nur gut. Mit seinem angriffslustigen Fahrstil, der früher noch zu zahlreichen Ausfällen führte, „gehört ihm die Zukunft“, prophezeite der routinierte Teamkollege Benjamin Raich, der 2006 die bislang letzte große Kristalltrophäe für rot-weiß-rot einfuhr.
„Der denkt gar nicht mehr nach, fährt Teufel kommt raus, macht Fehler und gewinnt“, analysierte das frühere österreichische Slalom-Ass Thomas Sykora am ORF-Mikrofon die Serie mit einem Sieg im Flutlichttorlauf von Zagreb und zwei Erfolgen in Adelboden. Warum derzeit „alles extrem geil“ läuft, kann Hirscher selbst nur schwer erläutern. „Ich weiß gar nicht, was ich anders als in den vergangenen Saison mache. Ich scheide kaum aus, diese Beständigkeit gibt mir Selbstvertrauen.“
Auch ein Kahnbeinbruch im vergangenen Februar hat seinen Wagemut nicht gestoppt. Wenn er gesund ist, gibt der Draufgänger auch abseits der Skipiste Gas. Neben Surfen, Wakeboarden und Kajak nutzt Hirscher rasante Fahrten im Motocross zum alpinen Ausgleich. „Das ist eine sehr gute Schule für Geist und Selbsteinschätzung“, erklärte er seine Leidenschaft, „einmal zu viel Gas, ist wirklich zu viel. Da kann es sein, dass du im Krankenhaus wieder munter wirst.“
Diese Reflektion trauen ihm seine Trainer auch beim aktuellen Höhenflug zu. „Dass er abheben könnte, befürchte ich gar nicht, man muss den Ball flachhalten“, meinte Österreichs Herren-Chefcoach Mathias Berthold. Somit wird also wohl vorerst weiter Hirscher „der Gejagte“ sein, wie Felix Neureuther voller Respekt in der Schweiz sagte, „schauen wir mal wann wir ihn schlagen können.“