Skispringen Severin Freund: „Mein Glück hängt nicht von der Tournee ab“
Skisprung-Weltmeister Severin Freund über seine Ziele, Erinnerungen und Reifeprozesse
Die Winter-Asse haben Severin Freund zu ihrem Sportler des Jahres gewählt. Eine besondere Anerkennung für den Skispringer, der in Falun drei WM-Medaillen und zudem den Gesamtweltcup gewonnen hat. Vor dem Weltcupauftakt in Klingenthal mit dem Team (Samstag/16 Uhr) und im Einzel (Sonntag/14 Uhr) hat unsere Redakteurin Stefanie Wahl mit dem 27-Jährigen gesprochen.
Thailand statt Trondheim, Myanmar statt München: Nach ihrer erfolgreichsten Saison sind Sie gleich in Urlaub. Wollten Sie alles fix vergessen?
Severin Freund: Nein, ganz bestimmt nicht. Die ersten Tage hat es schon noch in mir gearbeitet. Es dauerte ein bisschen, ehe ich alles realisiert hatte. Die Momente beim Saisonfinale in Planica waren schon sehr nachhaltig. So was braucht Zeit, bis man dann auch für sich komplett verstanden hat, was man geschafft hat — und was es bedeutet. Für mich war es unheimlich schön, dass die vergangene Saison so abgelaufen ist. Es macht auch Luft für andere Sachen und gibt unheimlich viele Emotionen für neue Sachen.
Wo haben Sie Ihre Kugel und die Medaillen von Falun denn aufbewahrt?
Freund: Für die Medaillen habe ich eine Holzskulptur, die ist ein wenig einer Schanze nachempfunden. Mein Onkel hat sie mir gemacht, er ist Künstler. Mittlerweile hängt da schon ein bisschen was dran. Und die Kugel steht genau auf der anderen Seite im Wohnzimmer, neben dem Esstisch auf einem Sideboard.
Erinnern Sie sich noch gern oder liegt der Fokus nun nur noch auf dem Auftakt in Klingenthal und der Saison?
Freund: Beides. In Erinnerung ist noch Vieles. Ich denke, das muss man mitnehmen, denn es sind auch Schlüsselerlebnisse, die einem einen Anker geben können, wenn man sich zurück erinnert. Für solche Momente macht man den Sport. Das ist das, was einen antreibt.
Aber es zehrt auch ungemein.
Freund: Ganz genau. Nach der vergangenen Saison habe ich etwas mehr Zeit gebraucht als die Jahre davor. Die habe ich mir auch genommen, um das alles sacken zu lassen und nicht einfach von Termin zu Termin zu hetzen, um im Sommer irgendwann festzustellen, dass ich eigentlich eine Pause bräuchte. Als ich aus dem Urlaub zurück kam, war die Motivation sehr groß, dass ich mich wieder in den Kraftraum stelle.
Das klingt nicht danach, dass die Erfolge Sie satt gemacht haben.
Freund: Wir haben natürlich hart gearbeitet, denn wir haben eine interessante Saison vor uns, die vom Aufbau anders ist als manches Zwischenjahr. Im Endeffekt ist es Mitte Januar mit den Großereignissen vorbei. Das macht es extrem spannend. Mehr denn je heißt es, früh in der Saison in Topform zu sein. Das ist jetzt nicht unbedingt mein Steckenpferd. Aber ich glaube, dass wir einiges dafür getan haben, dass es diesmal schon früher klappen könnte. Nach so einer Saison, in der es gut gelaufen ist, neue Reize zu setzen, ist auch nicht schlecht. Alles zu wiederholen, wenn es sehr gut gelaufen ist — das geht sowieso nicht.
Was sind dann Ihre Ziele?
Freund: Die Vierschanzentournee und die Skiflug-WM. Bei der Tournee habe ich noch etwas gut zu machen. Sie ist auch durch die Weihnachtspause, die zwar nicht lang ist, aber einen Bruch reinbringt, etwas Besonderes. Vergangenes Jahr haben alle gesagt, dass einer derjenigen die Tournee gewinnt, der zuvor auch einen Weltcup gewonnen hat. Stefan Kraft und Michael Hayböck, die zwei Besten, hatten vorher keinen Weltcup gewonnen. Für mich heißt es weiter dranbleiben und alles dafür tun, dass es in dem Moment auch mal aufgehen kann. Wir haben viel gemacht, aber man kann das nicht zu 100 Prozent planen.
Beim Skifliegen am Kulm sind Sie Titelverteidiger.
Freund: Das finde ich sehr schön, denn das bedeutet, dass wir mit fünf Leuten im Einzel starten dürfen. Und beim Skifliegen habe ich meinen ersten Einzeltitel geholt. Deshalb ist es für mich eine schöne Verbindung. In Vikersund haben wir 2012 im Team eine Silbermedaille geholt, die für uns extrem schön war.
Was haben Sie getan, um früher in der Saison in Form zu kommen?
Freund: Ein Ziel war, dass ich körperlich so in Form bin, dass auch die springerische Form zu mir kommen kann. Denn das klappt nicht mit einem Fingerschnippen. Dazu muss man in den Flow kommen. Kennt man dieses Gefühl, ist es einfacher, wieder dahin zurück zu finden. Aber herbeireden oder erzwingen kann man es auch nicht. Die Athletik war ein wichtiger Punkt. Ich habe einen ausgiebigen und guten Aufbau als Basis gemacht, so konnte ich lange auf einem sehr guten springerischen Niveau trainieren. Das hat geholfen, aber eine Garantie ist das für gar nichts. Wie jedes Jahr wird es hier in Klingenthal eine Überraschung, wie es wirklich aussieht.
Hand aufs Herz: Haben Sie sich schon Gedanken über das große Ziel, die Vierschanzentournee gemacht?
Freund: Wir haben uns zusammengesetzt und analysiert, was wir bei den vergangenen Tourneen gemacht haben und haben ein paar Punkte geändert. Aber das sind keine Sensationen. Persönlich habe ich schon viele Herangehensweisen probiert, wahnsinnig viele Unterschiede waren nicht dabei. Bundestrainer Werner Schuster hat mal einen guten Spruch gesagt: „Wenn jemand in Form ist, kann er im Zelt schlafen und die Tournee trotzdem gewinnen.“ Im Sport kann man viel kontrollieren, aber es geht nicht alles. Wenn die Zeit reif ist, wird es auch passieren. Mir jetzt einen großen Kopf machen, nur weil es die vergangenen Jahre nicht so funktioniert hat, würde mich nicht weiterbringen. Ich habe trotzdem gute Jahre gehabt. Mein Gott: Es wäre wahnsinnig schön, die Tournee zu gewinnen, und ich werde alles dafür tun. Aber ich werde mein Glück nicht davon abhängig machen.
Ist Ihre Erfahrung ein großes Plus?
Freund: Jedes einzelne Jahr macht einen ein bisschen reifer. Und es lässt einen Situationen erleben, aus denen man lernen kann. Leistungssport funktioniert nur über Misserfolg und Erfolg. Es wird nie nur eines geben. Selbst für mich, der in den vergangenen Jahren eine relativ gleichmäßige Entwicklung genommen hat, gab’s Hochs und Tiefs. Das ist einfach so, sonst wär’s nicht interessant. Klar, wenn man aus einer schlechteren Situation rauskommt, hat man für sich gelernt.
Und bei den Erfolgen?
Freund: Da schaut man drauf, wie sie entstanden sind. Gar nicht so sehr auf den Moment, sondern auf den Verlauf. Mit jedem Ziel, das man schafft, ist wieder ein wenig Freiraum da. So wie es bei mir mit dem Gesamtweltcup war. Das war für mich ein riesiges Ziel, den einmal in meiner Karriere zu gewinnen. Jetzt zu sagen, ich hab’s abgehakt, passt nicht. Ich würde mich auch freuen, wenn ich ihn ein zweites Mal gewinnen könnte. Aber es ist schon etwas sehr Spezielles, wo unheimlich viel zusammenpassen muss. Als ich das geschafft hatte, konnte ich einige Sachen etwas lockerer angehen.