Tiefschläge verdaut: Freitag gibt auf der Schanze Gas
Bischofshofen (dpa) - Die großen Emotionen nach dem grandiosen Triumph am Bergisel hatten sich bei Richard Freitag schnell gelegt. „Ich bin schon wieder geerdet. Das ist auch gut so“, berichtete der introvertierte Sachse bereits wenige Stunden nach dem frenetisch bejubelten Erfolg.
Zeit für eine rauschende Party blieb dem ersten deutschen Skisprung-Sieger bei der Vierschanzentournee seit Sven Hannawald vor zwölf Jahren ohnehin nicht. Denn schon am Montag musste er in Bischofshofen wieder auf die Schanze.
Der Prestigesieg in Innsbruck könnte dennoch lange nachwirken. Zum ersten Mal bei einem großen Event spielte der begnadete Stilist seine Fähigkeiten voll aus. „Für Richard ist das sehr wichtig. Er steckt in einer interessanten Phase der Persönlichkeitsentwicklung. Er wird offener und zugänglicher. Er fängt an, es immer mehr zu genießen, vor Publikum zu springen und Spaß zu haben“, beschrieb Bundestrainer Werner Schuster die Bedeutung des am Sonntag von mehr als fünf Millionen TV-Zuschauern verfolgten Sieges.
Der verkorkste Tournee-Auftakt war damit zwar nicht vergessen, rückte aber schlagartig in den Hintergrund. Die heftige Kritik, auch vom Bundestrainer, hatte Freitag nicht aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht. Er empfand sie sogar als konstruktiv. „Wir waren genauso enttäuscht wie alle anderen. In solchen Momenten muss man ehrlich zu sich selbst sein. Damit muss man genauso umgehen können wie mit solchen Tagen, an denen gefeiert wird“, erklärte der 23-Jährige.
Die Rückkehr in die Weltspitze bewerkstelligte er auch mit Hilfe eines Psychologen. Denn dem Tiefschlag bei den Olympischen Winterspielen, als Freitag wegen schlechter Leistungen beim Team-Wettbewerb zuschauen musste und damit Gold verpasste, folgte für den Motorrad-Fan ein Stotterstart in die WM-Saison. „Er hat sich wieder neu eingestellt und zurückgekämpft“, lobte Schuster.
An der Enttäuschung von Sotschi hatte Freitag im Sommer lange zu knabbern gehabt. „Da kann mir einer viel erzählen, wenn er sagt, das hake ich einfach ab. Das funktioniert nicht. Es hat eine Weile gedauert“, erzählte er. Bei einem Amerika-Urlaub arbeitete er den Misserfolg auf. „Da kommst du von den Gedanken mal weg und findest neue Ansätze.“
Nach dem überraschenden Weltcupsieg kurz vor Weihnachten in Engelberg galt Freitag plötzlich sogar als Tournee-Geheimfavorit. Dies erwies sich als fatale Fehleinschätzung, wie Schuster freimütig einräumte: „Die Erwartungen an Richard waren etwas überzogen. Die Stabilität war noch nicht da, um von null auf hundert zu gehen.“
Nun will Freitag, der bei der WM 2013 Silber mit der Mannschaft und Bronze im Mixed gewann, weiter Vollgas auf der Schanze geben und so oft es geht den süßen Geschmack des Erfolges genießen. Dass dies trotz seines Talents kein Selbstläufer wird, ist ihm bewusst. „Skispringen ist Kopfsache. Klar geht es auch um Kraft und Technik. Aber du musst eben in dieser Zehntelsekunde vieles richtig machen. Das ist die größte Herausforderung, die gilt es zu meistern. Daran muss man wachsen“, sagte der Sportsoldat.
Auf diesem Weg scheint Freitag langsam voranzukommen - sowohl sportlich als auch menschlich. „Er muss sich noch ein bisschen schleifen, aber er hat enorme Qualität. Ich merke den Respekt, der ihm auf dem Trainerturm entgegenkommt. Er kann extrem sauber und dynamisch springen“, beschrieb Schuster die Vorzüge seines Schützlings. Der ist nach Ansicht des Bundestrainers derzeit mit sich im Reinen: „Der Richi kann auch mal schelmisch grinsen. Er ist aber auch kein Sonnyboy. Im Moment hat er eine gute Mischung drauf.“