Titel, Tränen und Triumphe: Die Tournee wird 60

Frankfurt/Main (dpa) - Die Vierschanzentournee der Skispringer ist seit ihrer Premiere 1953 zu einer Erfolgsstory geworden. Der Kampf Mann gegen Mann auf vier Stationen elektrisiert sowohl die Athleten als auch die Fans.

Der bisher einmalige Grand Slam von Sven Hannawald war das absolute Highlight, der geteilte Sieg von Rekordgewinner Janne Ahonen und Jakub Janda ein unglaubliches Novum. Die Geschichte der Vierschanzentournee, die in diesem Jahr ihre 60. Auflage erlebt, ist reich an Triumphen, Dramen und Anekdoten. Bis heute hat die deutsch-österreichische Traditionsveranstaltung nichts von ihrer Faszination eingebüßt und wird auch zum Jubiläum Millionen von Fans vor dem Fernseher und an den Schanzen begeistern.

Als die Vierschanzentournee am Neujahrstag 1953 aus der Taufe gehoben wurde, ahnten die beiden Gründerväter Emmerich „Putzi“ Pepeunig und Franz Rappenglück wohl kaum, dass dies die Geburtsstunde einer der berühmtesten Sportveranstaltungen der Welt sein würde.

Die Idee zu einer Springertournee war ebenso einzigartig wie erfolgreich. „Mythos entsteht aus der Tradition heraus, die die Tournee mit 60 Jahren hat. Sie ist immer einer der Höhepunkte und hat für jeden Skispringer einen besonderen Stellenwert“, beschreibt der viermalige Tourneesieger Jens Weißflog die Bedeutung.

Über fast sechs Jahrzehnte hinweg trotzte die Veranstaltung allen Widrigkeiten - politischen wie auch klimatischen. 1956 muss das Abschlussspringen wegen Schneemangels von Bischofshofen nach Hallein, zwei Jahre später aus dem gleichen Grund im Finalort auf die kleine Schanze verlegt werden.

1959 folgt der erste Eklat: Der sogenannte Flaggenstreit führt zum Boykott der DDR um Titelverteidiger Helmut Recknagel sowie der Teams aus Polen, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion. Recknagel, der ein Jahr später seinen dritten Tourneesieg feiert, wird 1961 erneut zum Opfer der Politik. Weil nach dem Mauerbau jeglicher Sportverkehr zwischen der DDR und der Bundesrepublik abgebrochen worden war, darf der Olympiasieger mit seinen Teamkollegen nur zu den Springen in Österreich antreten.

Den wohl kuriosesten Ausgang nimmt die Auflage 1971/72. Nach drei Erfolgen hat der Japaner Yukio Kasaya den Gesamtsieg so gut wie sicher, muss dann aber vor dem Finale abreisen, weil die Asiaten zeitgleich die nationale Qualifikation für die Olympischen Winterspiele in Sapporo angesetzt hatten. Nutznießer ist der Norweger Ingolf Mork. Kasaya entschädigt sich einige Wochen später für den entgangenen Tourneesieg mit Olympia-Gold auf der Normalschanze.

Wegen schlechten Wetters fällt 1979 zum ersten und bisher einzigen Mal das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen aus - es wird 24 Stunden später in nur einem Durchgang nachgeholt. 2008 wird die Veranstaltung sogar zur „Dreischanzentournee“, weil Innsbruck bei Föhnsturm passen muss.

Bischofshofen erlebt zwei Wettbewerbe und Ahonens fünften Triumph, mit dem er Weißflog überflügelt und zum alleinigen Rekordhalter avanciert. Zwei Jahre zuvor hatte der Finne schon einmal Tournee-Geschichte geschrieben: Nach acht Sprüngen liegen Ahonen und der Tscheche Janda gleichauf und teilen sich den Sieg.

Die Top-Story der Tournee schreibt aber ein anderer: Bei der 50. Auflage 2001/02 schafft es Sven Hannawald als bisher einziger Springer, alle vier Wettbewerbe zu gewinnen. „Das war das geilste Erlebnis überhaupt. Es war ein Genuss, weil ich gewusst habe: Ich habe meine Form. Wenn alles mitspielt, kann mir keiner was“, erzählt Hannawald im Rückblick.

Wegen dieser und anderer Geschichten zieht die Tournee seit nunmehr 59 Jahren Athleten wie Anhänger in ihren Bann. Und sie spiegelt nicht zuletzt die Entwicklung des Skisprungs wider. Von der Holzlatte zum Plastik-Ski, von der Wollmütze zum Reklame-Sturzhelm, von der Keilhose zum Springeranzug, vom Kopfrechnen bei der Ergebnisauswertung zum Computer, vom Fähnchen im Wind zur elektronischen Windmessung, vom Amateur zum Profi - wie es der langjährige Tournee-Pressesprecher Klaus Taglauer im Buch „50 Jahre Internationale Vierschanzen-Tournee“ treffend zusammenfasste.

Und ein Ende der Erfolgsstory ist nicht absehbar. „Das Ganze ist eine spannende Sache, die meistens erst mit dem letzten Sprung entschieden wird, und ernährt sich aus sich selbst heraus“, erklärt Martin Schmitt den Mythos.

Dem kann sich auch Simon Ammann nicht entziehen. Obwohl der viermalige Olympiasieger - wie auch der viermalige Weltmeister Schmitt - bisher nie die Gesamtwertung gewinnen konnte, steht für ihn fest: „Es ist etwas Besonderes, die Tournee mitmachen zu können. Wenn man solch eine Performance über zehn Tage erleben darf, ist das viel wert für das Leben.“