Allenfalls ein mulmiges Gefühl: München nach Terroralarm
München (dpa) - Reisende ziehen mit Rollkoffern über die Bahnsteige des Münchner Hauptbahnhofs. Die bayrische Hauptstadt hat wieder auf Normalbetrieb umgestellt.
Die Schalter der Bahn sind geöffnet. An den Ständen gibt es Kaffee in Pappbechern und frische Pizza. Von dem Terror-Großeinsatz in der Silvesternacht hier und am Pasinger Bahnhof ist am Neujahrstag fast nichts mehr zu sehen und zu spüren.
Die Sicherheitslage sei nun nicht viel anders als zuletzt nach den Anschlägen von Paris, gibt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit Erleichterung bekannt. Es bestehe zwar eine hohe Terrorgefahr in Europa, „aber keinen unmittelbaren Hinweis auf eine Anschlag heute oder morgen an einem bestimmten Ort“.
Mancher, der an diesem neblig-kalten Neujahrstag in der Innenstadt unterwegs ist oder an den Imbissbuden und in den Geschäften arbeitet, spricht von einem „mulmigen Gefühl“. „Die Wahrscheinlichkeit eines Anschlags steigt, weil Deutschland jetzt in den Krieg involviert ist“, sagt der Leiter eines Gastronomiebetriebs, der nicht namentlich genannt werden will. „Die Frage ist nur, wo es passiert.“ Gemeint sind die Luftangriffe der Allianz auf Ziele in Syrien, die von Deutschland seit kurzem unterstützt werden. Ein Bäckereiverkäufer am Hauptbahnhof findet: „Man ist es schon gewohnt, dass es dauernd Bedrohungen gibt.“ Allerdings glaubt er: „Wenn es schon ein Ziel gibt, dann wäre es wohl Berlin.“
In der Silvesternacht sorgen Terrorwarnungen für bange Stunden. Schwer bewaffnete Einsatzkräfte ziehen vor den Eingängen des Hauptbahnhofs auf. Flatterband sperrt das Gelände ab. Sicherheitsbeamte drängen Passanten zurück, die sich auf Fragen nach dem nächsten Zug mit vagen Antworten begnügen müssen.
Zuletzt war der Hauptbahnhof zu Beginn der Flüchtlingskrise im September ein Brennpunkt. Damals trafen an einzelnen Tagen bis zu zehntausend Menschen aus den Krisengebieten der Welt ein und wurden von Einheimischen in großer Gastfreundschaft empfangen. Die Bilder applaudierender Münchner gingen um die Welt. Nun zeigen die Berichte maskierte Polizisten in Kampfmontur und mit Maschinenpistolen vor der Brust.
Einmal mehr haben die Beamten am Silvesterabend eine großen Einsatz gemeistert. Auf der Facebook-Seite der Polizei zollen ihnen die Münchner Respekt: „Bin froh dass nichts passiert ist“, heißt es da. „Ein Dank an unsere Polizei und alle anderen.“ Und die Polizei grüßt an Neujahr auf Twitter trotz der Anspannung locker: „Guten Morgen, #München! An alle Nachtschwärmer: Danke, dass Ihr Ruhe bewahrt habt und Verständnis für unsere Maßnahmen hattet.“
In der Nacht hatte die Polizei noch getwittert: „Trotz der ernsten Lage lassen wir es uns nicht nehmen: Frohes neues Jahr Euch allen! Und: Seid vorsichtig!“. Die Münchner waren wachsamer als sonst - einige meldeten sich mit Hinweisen bei der Polizei. „Wir sind dankbar, wenn die Bürger etwas feststellten und im Zweifelsfall lieber einmal mehr die 110 wählen“, sagte eine Sprecherin.
Am Neujahrstag bleiben die Einsatzkräfte in Alarmbereitschaft. Zusätzliche Beamte sind in der Stadt unterwegs, hin und wieder kontrollieren sie. Durch die Fußgängerzone bahnt sich vorsichtig ein Polizeiwagen einen Weg durch die Menschen. Denn wenn es stimmt, was die Geheimdienste melden, dann könnten fünf bis sieben mögliche Attentäter weiter irgendwo in der Nähe sein. Von einigen seien Personalien ermittelt worden, sagte der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä. Aber: „Wir wissen derzeit nicht, ob die Namen überhaupt stimmen, ob es die Personen gibt und wo sie sich aufhalten.“
Was auch immer hinter den möglichen Attentaten steckt: Sollten Terroristen das Ziel gehabt haben, Angst und Panik zu verbreiten, sind sie gescheitert. Die Münchner und die Touristen, darunter viele aus Italien, reagieren sehr besonnen. Gemütlich bummeln sie die Fußgängerzone entlang, fotografieren sich vor dem Karlstor oder drehen einige Runden auf der Eislauffläche am Stachus ein paar hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt.
„Wir fühlen uns sicher“, sagt eine ältere Frau aus Mainz, die in München ihre Kinder besucht. Eine Großmutter, die mit ihrem Enkel ins nahe Kino geht, ist vorsichtiger. „Wir werden nachher nicht mit der U-Bahn fahren, wir werden mit dem Auto abgeholt“, erklärt sie. Auf den Kinobesuch verzichten wollte sie aber nicht. „Sonst kann man sich zuhause gleich eingraben.“