Altkanzler Helmut Schmidt im Alter von 96 Jahren gestorben

Hamburg (dpa) - Es dauert nicht lange. Kaum eine Stunde nach dem Tod von Altkanzler Helmut Schmidt versammeln sich die ersten Hamburger vor seinem Haus im beschaulichen Stadtteil Langenhorn.

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Sie legen Blumen nieder, zünden Kerzen an oder stehen einfach nur beieinander, um sich an „ihren“ Hamburger Ehrenbürger zu erinnern. Während in Berlin Bundespräsident, Bundeskanzlerin und wer im politischen Betrieb sonst noch von Rang und Namen ist des im Alter von 96 Jahren gestorbenen Staatsmanns gedenken, stecken in der kleinen Wohnstraße Familien mit ihren Kindern und Nachbarn weiße und rote Rosen oder Nelken in den Jägerzaun vor dem Klinkerhaus.

„Er war ein Mann, der zu seinem Wort stand“, sagt Nachbarin Anita Sommerfeld. Die 60-Jährige ist sichtlich traurig, hält ihren Hund fest im Arm. Auch wenn sich der Tod des SPD-Politikers bereits seit Tagen abzeichnete, ist auch Ulrike Brodersen-Siering - sie wohnt seit 40 Jahren in der Nachbarschaft - erschüttert. „Wir waren in derselben Kirchengemeinde“, sagt die 68-Jährige. Und ein 48-jähriger Mann, der extra aus Norderstedt gekommen ist, fasst zusammen, was die meisten vor dem Haus wohl denken, in dem Schmidt Jahrzehnte gelebt hat: „Das war ein guter Mensch, der da von uns geht.“

Helmut Schmidt war von 1974 bis 1982 achteinhalb Jahre Kanzler, hatte es dort mit dem Terror der RAF, dem Ölpreisschock und dem Nato-Doppelbeschluss zu tun. Den Hamburgern ist er jedoch vor allem wegen seines Einsatzes während der Sturmflut 1962 in Erinnerung. Schließlich hatte der im Arbeiterviertel Barmbek geborene frühere Innensenator zahlreiche Menschenleben gerettet, indem er sich über Grundgesetz und so ziemlich alle Vorschriften einfach hinwegsetzte und unter anderem militärische Oberbefehlshaber aus ganz Europa persönlich um Hilfe bat.

Sie sollten mit Booten und Hubschraubern anrücken, um die Leute von den Hausdächern zu holen, forderte er. „Die haben zunächst geglaubt, ich sei verrückt geworden. Weil sie mich aber gut kannten, haben sie auf mein Insistieren hin schließlich sehr schnell funktioniert“, erinnerte sich Schmidt später.

Die Hamburger selbst vergessen das nie. So sagt etwa Schmidts Nachbarin Frauke Schwarz, die sich ebenfalls vor seinem Haus einfindet: „Meine Eltern waren nie politisch. Aber wegen seiner Leistung waren sie immer ein Fan von ihm.“ Die 59-Jährige - selbst seit 27 Jahren in der SPD - räumt aber auch ein, dass sie als Juso wegen des Nato-Doppelbeschlusses auf die Straße gegangen sei.

Helmut Schmidts Tod war absehbar. Bereits seit Tagen ging es ihm sehr schlecht. Er, der am 23. Dezember 97 Jahre geworden wäre, war Anfang September wegen eines Blutgerinnsels am Bein operiert worden. Davon hatte er sich nie erholt. Nicht einmal mehr rauchen wollte Schmidt - was für den überzeugten Mentholzigaretten-Konsumenten, der sich stets über quasi alle Rauchverbote hinwegsetzte und sogar in Kliniken und TV-Studios qualmte, etwas heißen will. „Er will und kann nicht mehr“, sagte sein Kardiologe Prof. Karl-Heinz Kuck noch am Montag.

Schmidt stirbt am Dienstagnachmittag im Kreis seiner Familie. An seinem Bett wachen seine aus Südengland angereiste Tochter Susanne und seine Lebensgefährtin Ruth Loah. Die 82-Jährige hatte Schmidt 2010 über den Tod seiner Frau Loki hinweggeholfen, mit der er 68 Jahre lang verheiratet war. „Er ist sehr friedlich und entspannt, allerdings ohne Bewusstsein wie schon in den vergangenen Tagen über, eingeschlafen und verstorben“, sagt Schmidts Arzt Prof. Heiner Greten und fügt an: „Er wollte immer zu Hause sterben, und er ist zu Hause gestorben.“