Analyse: Absturz eines Überfliegers

Berlin (dpa) - Es ist eine gespenstische Atmosphäre in der Säulenhalle des Bendlerblocks. Mindestens zwei Dutzend Kameras und etwa hundert Hauptstadtjournalisten haben sich aufgebaut, um die letzte öffentliche Erklärung des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg mitzuerleben.

Zwei Wochen lang hat der CSU-Politiker die Berliner Journalisten gemieden. Jetzt hat er kurzfristig ins Ministerium eingeladen, und alle wissen, was das bedeutet.

„Meine Damen und Herren, der Minister“, kündigt der stellvertretende Ministeriumssprecher seinen Chef ein letztes Mal an. In gewohnt lockeren Schritten kommt der die Treppe herunter, sein Gesicht aber wirkt wie versteinert. Guttenberg ist gekommen, um zurückzutreten. „Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens“, sagt er mit fester Stimme.

Der Abschied kommt nicht überraschend, aber plötzlich. Schnelle, manchmal überstürzte Entscheidungen zu treffen, gehört zum Politikstil Guttenbergs. Auch in seiner schwersten Stunde bleibt er sich treu. Selbst engste Mitarbeiter weiht er erst kurzfristig in seine Pläne ein. Die Kanzlerin bricht um 09.15 Uhr zwei Stunden vor der Erklärung ihres Ministers ihren Rundgang über die Cebit wegen eines wichtigen Telefonats ab. Zehn Minuten spricht sie mit Guttenberg, kann ihn aber nicht umstimmen. Sie habe die Bitte um Entlassung „schweren Herzens“ angenommen, sagt sie später.

Wie Merkel ist auch CSU-Chef Horst Seehofer völlig überrascht von dem Schritt des populärsten Politikers, den die Christsozialen je hatten. Guttenberg scheint eine ziemlich einsame Entscheidung getroffen zu haben. Der Minister hat Fragen nach Rücktrittsgedanken während der Plagiatsaffäre mehrfach als „Unsinn“ abgetan. In seiner sechseinhalbminütigen Abschiedsrede im Ministerium erweckt er nun den Eindruck, als ob er den Schritt über Tage vorbereitet hätte, um für einen geordneten Übergang zu sorgen.

„Es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen“, sagt er. In der vergangenen Woche habe er an dem Konzept für die zweite Phase der Bundeswehrreform gefeilt, um es seinem Nachfolger zur Umsetzung zu überlassen. Zudem habe er den in Nordafghanistan gefallenen Soldaten am vergangenen Freitag noch die letzte Ehre erweisen wollen. Dies sei für ihn eine „Frage des Anstands gewesen“. Dass er mit seinem „ganzen Herzblut“ an seinem Amt gehangen habe, nennt er nur als einen von vielen Gründen.

Mit den vorherigen Erklärungen des Ministers zur Plagiatsaffäre passt die These vom sorgsam vorbereiteten Rücktritt allerdings nicht zusammen. Immer wieder hat Guttenberg versucht, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Immer wieder ist er gescheitert. Erst nannte er die Vorwürfe „abstrus“, dann sprach er von Fehlern und Versäumnissen, um schließlich einzuräumen, dass er „Blödsinn" geschrieben habe. Guttenberg blieb in der Affäre ein Getriebener.

Den wohl einleuchtendsten Grund für seinen Rücktritt nennt der CSU-Politiker erst ganz zum Schluss seiner Erklärung. „Ich war immer bereit zu kämpfen. Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht.“ Der Leidensdruck wurde letztendlich zu groß. Die Medien schütteten Hohn und Spott über Guttenberg aus, die Wissenschaft machte die Causa Guttenberg zu einer Art Existenzfrage, und die Solidaritätsfront in der Union bröckelte. Am Montagabend wandte sich dann auch noch Guttenbergs Doktorvater, den der Minister einmal als seinen „großen Lehrer“ bezeichnet hat, von seinem wissenschaftlichen Zögling ab.

Mit dem Rücktritt ist die wohl steilste politische Karriere in der Geschichte der Bundesrepublik - nach oben wie nach unten - auf einem Tiefpunkt angelangt. Noch vor wenigen Wochen wurde der bisher jüngste Verteidigungsminister in den Medien als „Baron ohne Bremse“, „Heilsbringer aus der Provinz“ und „Retter der Union“ verehrt. Dass die Karrierekurve auch mal in die andere Richtung zeigen könnte, hatte er geahnt. „Ein gewisser Absturz hätte bei mir schon längst kommen müssen“, sagte er im vergangenen Oktober, als er schon als Kanzlerkandidat und CSU-Chef gehandelt wurde. „Guttenberg siegt sich nochmal zu Tode“, orakelten schon damals auch politische Freunde. Dass der Absturz so schnell kommen würde, hat aber wohl niemand geahnt.

Was wird nun aus Guttenberg? Angesichts des Familienvermögens von mehreren hundert Millionen Euro wurde dem 39-Jährigen immer Unabhängigkeit vom politischen Betrieb unterstellt. Einen anderen Beruf hat er aber nie gelernt. Seehofer und Merkel öffneten ihm am Dienstag jedenfalls schon einmal die Tür für ein politisches Comeback. „Er bleibt einer von uns“, sagte Seehofer in seiner ersten Reaktion. Guttenberg werde „der deutschen Politik und auch seiner politischen Familie der Christlich-Sozialen Union erhalten“ bleiben. Und Merkel attestierte ihrem scheidenden Minister „herausragende politische Begabung“.

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