Analyse: Atempause für Rösler
Berlin (dpa) - An der Katastrophe vorbeigeschrammt: FDP-Chef Rösler hat sich beim Mitgliederentscheid zum Eurokurs durchgesetzt. Das verschafft ihm Luft. Doch die Probleme in der Partei sind damit nicht aus der Welt.
Rund 31 Prozent der Liberalen gaben ihren Stimmzettel ab, rund zwei Prozentpunkte weniger als nötig gewesen wären, um dem Entscheid die bindende Wirkung eines Parteitagsbeschlusses zu verleihen.
Dass sich der Vorstandsantrag für den Euro-Rettungsschirm ESM mit einer Mehrheit von rund 2000 Stimmen durchsetzen konnte, war nicht abzusehen. Denn die Parteispitze setzte lange Zeit darauf, dass die Initiatoren des Mitgliederentscheides gegen den dauerhaften Stabilitätsmechanismus um Frank Schäffler die nötige Stimmenzahl verfehlen würden.
Das heftig kritisierte Vorpreschen Röslers vom Wochenende, als er Schäffler bereits vor Stimmabgabeschluss zum Verlierer gestempelt hatte, zeigte offenbar Wirkung. Am Freitag vergangener Woche lag die Zahl der abgegebenen Stimmen bei etwa 16 500. Ausgezählt wurden aber letztlich 20 400.
Das bedeutet, dass innerhalb der letzten Tage viermal so viele Stimmen eingegangen sind wie in den Tagen zuvor - ob von Gegnern des ESM oder Unterstützern der Linie des Parteivorstandes lässt sich nicht sagen. Rösler äußerte am Freitag jedenfalls Bedauern über dieses Vorpreschen und dürfte damit auch die Gemüter etwas beruhigt haben.
Die dramatische Woche, die mit dem Rücktritt von Christian Lindner als Generalsekretär ihren Höhepunkt erreichte, fand mit dem Ergebnis des Entscheids noch einen versöhnlichen Schluss. Dass es Rösler noch am Tag von Lindners Rücktritt am Mittwoch gelang, mit Patrick Döring einen Nachfolger zu präsentieren, war hilfreich. Allerdings hat auch der Start des neuen Generalsekretärs einen kleinen Schönheitsfehler. Er muss sich verantworten, weil er den Außenspiegel eines anderen Autofahrers demoliert hat. Doch das, sagte Döring, „lässt sich alles klären“.
Alle Fehler, die zuvor gemacht wurden, werden mit dem Ergebnis des Entscheides im Nachhinein abgemildert. Schäffler räumte die Niederlage ein und versicherte Rösler bei einem gemeinsamen Auftritt am Freitag, er wolle dazu beitragen, „dass die Gräben innerhalb der Partei wieder zugeschüttet werden“. Er sei jetzt auch erleichtert, sagte Schäffler. Erhobenen Hauptes verließ er die Bühne. An einer Spaltung der Partei scheint er nicht interessiert zu sein.
Gleichwohl hält Schäffler daran fest, die angeblichen oder tatsächlichen organisatorischen Mängel des Mitgliederentscheides aufarbeiten zu lassen. Auf seiner Homepage ruft er alle Unterstützer auf, „in der FDP weiter für ein Europa des Rechts, der Rechtsstaatlichkeit und der Marktwirtschaft zu kämpfen. Wir rufen die Parteiführung auf, die gemeinsamen europapolitischen Überzeugungen eines marktwirtschaftlichen, subsidiären und solide wirtschaftenden Europas zukünftig zu betonen“.
Rösler gehe aus dem Mitgliederentscheid gestärkt hervor, sagen führende Parteimitglieder unisono. Das Ergebnis bietet ihm ebenso wie der Partei und der Bundestagsfraktion die Chance, über den Jahreswechsel zu etwas Ruhe zu kommen. Er muss aber auch versuchen, schnellstmöglich das Misstrauen in der Parteiführung abzubauen, das in den Tagen des Mitgliederentscheids offenkundig geworden ist. Nur so ist nach dem verkorksten Jahr 2011 beim traditionellen Drei-Königstreffen am 6. Januar in Stuttgart ein Neustart möglich - mit der entscheidenden Wahl im Mai in Schleswig-Holstein.
Das hängt natürlich auch davon ab, ob Rösler bis dahin, wie von führenden Parteimitgliedern wiederholt gefordert, endlich Führungsstärke zeigt. Fragen danach versuchte der FDP-Chef am Freitag abzuwehren. Das jüngste ZDF-Politbarometer sieht die FDP weiter bei vier Prozent. Rösler rutschte unter den Top Ten weiter ab - von minus 1,1 auf minus 1,3.