Analyse: Bayerischer Löwe mit gestutzter Mähne
München (dpa) - Rein mathematisch betrachtet ist alles in bester Ordnung. Dass Horst Seehofer in der neuen schwarz-roten Bundesregierung drei Ministerien für die CSU herausgehandelt hat, ist ein Erfolg.
Denn gemessen am Prozentergebnis bei der Bundestagswahl stünden der Partei maximal zwei Ressorts zu.
Von „großer Beute“ sprachen Christsoziale deshalb in den vergangenen Wochen bereits zufrieden. Jetzt aber hat sich herausgestellt, welche drei Ministerien dies sind. Und da hält sich der Jubel eher in Grenzen.
Denn: Das Innenministerium, eines der wichtigsten Ministerien überhaupt, ist futsch, verloren an die große Schwester CDU. Ersatz dafür: das Entwicklungsministerium. Und das Agrarministerium wird eingedampft, es muss den wichtigen Part Verbraucherschutz abgeben.
Das Gewicht der CSU in der neuen schwarz-roten Regierung ist damit erwartungsgemäß geschrumpft. „Wir kommen zwar mit drei Hüten raus - aber die sind deutlich kleiner und schwächer“, sagt ein CSU-Vorstand und klagt: „Ein klassisches Ministerium wie das Innenministerium ist eigentlich nicht zu ersetzen.“ Die Zahl drei sei Seehofers größter Ehrgeiz gewesen - ohne auf das Gewicht der Ministerien zu achten. Der geschasste Finanzstaatssekretär Hartmut Koschyk beklagt, die CSU besetze in der neuen Regierung nun „bedeutungsärmere Ressorts“.
Seehofer widerspricht. „Ich bin hoch zufrieden, hoch glücklich, meine Partei auch“, sagt er nach einer CSU-Vorstandssitzung vor Journalisten. Wenn er in Berlin die Chance habe, drei Ressorts zu übernehmen, „dann fahre ich zufrieden nach Hause zurück“. Man müsse auch sehen, dass es sich um eine große Koalition handele und nicht wie zuletzt mit der FDP um eine kleine. Über das neue Ressort für Verkehr und digitale Infrastruktur sagt er ohnehin: „Wenn ich ein Ministerium als Superministerium bezeichnen würde, dann dieses.“
Außerdem erklärt er: Das Agrarministerium habe man wegen der Bauern nicht aufgeben können. Und das Entwicklungsministerium sei ja schon früher als „Außenministerium der CSU“ bezeichnet worden. Zudem stelle die CSU mit Stefan Müller einen Staatssekretär im Forschungsministerium - für die CSU ein wichtiger Posten. Andere Alternativen wären auch möglich gewesen - „aber ich wollte die nicht“. Dass viele in der Partei bis zuletzt davon ausgingen, die CSU könnte ihre bisherigen Ressorts behalten, ließ der CSU-Chef in den vergangenen Wochen allerdings völlig unkommentiert laufen.
Andererseits ist CSU-intern eine andere alte Weisheit überliefert: Hauptsache am Kabinettstisch sitzen - in welcher Funktion, ist egal. „Man kann aus jedem Amt etwas machen“, sagte Seehofer am Samstag.
Allein das neue Verkehrsministerium ist ein wuchtiges Ressort: Hinzu kommt die Zuständigkeit für digitale Infrastruktur - um den Preis freilich, dass der Bau-Bereich ins Umweltministerium wandert. Der bisherige CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt muss als neues Schwergewicht nicht nur die Pkw-Maut umsetzen, sondern sich um CSU-Lieblingsthemen wie Digitalisierung und Breitbandausbau kümmern. In dem Ministerium stecke schon Fantasie drin, heißt es in der CSU.
Der bisherige Amtsinhaber Peter Ramsauer scheidet aus dem Kabinett ganz aus. Unfreiwillig. Seehofer, von dem bekannt ist, dass er sehr wenig von Ramsauer hält, macht deutlich, dass der Oberbayer keine Wahl hatte. In der Vorstandssitzung habe er, so berichtet Seehofer, dazu gesagt, politische Spitzenämter seien Geschenke auf Zeit. In der Pressekonferenz ergänzt Seehofer noch, er danke Ramsauer „für die Arbeit für Deutschland, für Bayern und für die Christlich-Soziale Union“.
Wer welchen Posten bekommt oder nicht bekommt, erfuhren die Glücklichen und Unglücklichen erst im Laufe des Wochenendes. Wie bereits bei der Berufung des bayerischen Kabinetts praktizierte Seehofer lange erfolgreich Geheimhaltung - hielt dafür aber seine Leute hin. „Ich habe mit keinem der Betroffenen und keinem der Entscheidungsträger bis jetzt Gespräche geführt“, sagte er noch am Samstagnachmittag. „Ich muss ja wissen, worüber ich mit denen rede.“
Möglicherweise zeigt die Kabinettsbesetzung aber, dass Seehofers stärkste Zeit nach den Koalitionsverhandlungen vorbei ist. Denn auch wenn er als eine der drei Spitzen der Koalition unbestreitbar großes Gewicht in Berlin hat: Rechnerisch sind CDU und SPD im Bundestag nicht auf die CSU angewiesen - es gibt also keine Blockademöglichkeit mehr. Drohungen mit Koalitionsbruch sind da weniger eindrucksvoll.
Seehofer verweist vorsorglich aber schon einmal darauf, dass bei Streitfragen immer der Koalitionsausschuss entscheide. Dort sei stets Einstimmigkeit nötig. „Und da sitze ich mit am Tisch.“