Analyse: Das Wochenende der „GroKo“-Entscheidung
Berlin (dpa) - Da steht sie nun die neue SPD-Ministerriege und gibt Sigmar Gabriel Rückendeckung. Am Sonntag, um 13.07 Uhr verkündet der SPD-Chef, was alle längst wissen. Sechs Minister in der „GroKo“ werden die „Roten“ stellen.
Mit Aydan Özoguz als Staatsministerin für Migration wird zudem erstmals eine Frau mit türkischen Wurzeln am Kabinettstisch Platz nehmen. Auch wenn die Union ihre Minister erst später am Abend präsentiert, hat sich auch hier zu diesem Zeitpunkt das Ministerrätsel gelöst. Rückblick auf ein besonderes Wochenende.
Freitagabend, 21.25 Uhr: Der Chef des Bundeskanzleramts, Ronald Pofalla (CDU), gibt sein Amt auf, berichten mehrere Medien.
23.50 Uhr: Einsam schlendert Jan Stöß durch das Tor, Winternebel liegt über dem früheren Postbahnhof am Berliner Gleisdreieck. Der Berliner SPD-Chef soll hier eine wichtige Fracht in Empfang nehmen.
Samstag, 00.05 Uhr: Lärm stört die Nachtruhe. Ein gelber Post-Lastwagen fährt in die Halle. Stöß und SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks begutachten die Fracht. Viele rote Kisten. Darin die Briefe, die entscheiden, ob es eine große Koalition geben wird.
01.00 Uhr: Die „Hochleistungsschlitzmaschinen“ des Typs OL 1000 plus starten die Arbeit. 40 000 Briefe pro Stunde werden aufgefräst. Hendricks, zu dem Zeitpunkt bereits Umweltministerium in spe, findet, dass „Hochleistungsschlitzmaschine“ statt „GroKo“ (Kurzfassung für große Koalition) das Wort des Jahres 2013 hätte werden sollen.
09.30 Uhr: Die Auszähler des SPD-Votums müssen Handys und Kameras in Schließfächern abgeben. Einer ist Julian Müller (19), Juso aus Soest in Nordrhein-Westfalen. „Ich bin ein Gegner der großen Koalition.“ Der Mindestlohn von 8,50 Euro ist für ihn nur eine Mogelpackung, weil er flächendeckend erst 2017 gilt. Müller hält Rot-Rot-Grün für die bessere Alternative. Neben ihm steht Erich Pommerening (61) aus Kamp-Lintfort. „Ich bin auch dagegen. Aber mit den Chaoten von den Linken kann man nicht regieren, sorry.“
10.55 Uhr: Emsiges Treiben in der Halle. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles meint: „Wir sind viel früher fertig, als wir geplant hatten.“ Man will das Ergebnis schon am frühen Nachmittag verkünden. „Einige haben schon gefragt, ob das Bier auch früher käme, wenn schneller ausgezählt wird. Na klar, habe ich gesagt“, so Nahles.
12.15 Uhr: Verwirrung um einen spektakulären Ressortwechsel von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). „Bild.de“ meldet, die 55-Jährige solle Innenministerin werden, die „Süddeutsche Zeitung“ wenig später, von der Leyen solle das Verteidigungsministerium von Thomas de Maizière übernehmen. Am Ende verdichtet sich, dass tatsächlich erstmals eine Frau die Streitkräfte führen soll.
14.40 Uhr: 400 SPD-Helfer schreiten nach vorne zur Bühne. Sie klatschen, es gibt La-Ola-Wellen. Die aus ganz Deutschland angereisten SPD-Mitglieder haben stundenlang ziemlich viele Ja-Stimmen zur „GroKo“ gezählt. Dann gibt es hinten Bewegung.
14.46 Uhr: Es ertönen „Sigmar, Sigmar“-Sprechchöre. Eingerahmt von der SPD-Spitze schreitet Gabriel durch das Spalier der Helfer. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft klatscht Genossen ab, SPD-Vize Manuela Schwesig reckt beide Daumen.
14.47 Uhr: Es wird ruhig. Gabriel geht ans Mikrofon, redet vom „Fest innerparteilicher Demokratie“, vom Vorbild für andere Parteien. Getreu Willy Brandts Worten habe die SPD mit der Befragung der Mitglieder zur großen Koalition mehr Demokratie gewagt. „Eigentlich ein schönes Geburtstagsgeschenk für die SPD und für Willy Brandt“, sagt er. Der erste SPD-Kanzler nach dem Krieg wäre Mittwoch 100 geworden. Dann gibt er das Wort an die Dame zu seiner Linken ab.
14.57 Uhr: Schatzmeisterin Hendricks ergreift als Vorsitzende der Mandatsprüfungs- und Zählkommission (MPZK) das Wort. 369 680 Stimmen seien abgegeben worden, wegen vieler vergessener eidesstattlicher Erklärungen seien aber nur 337 880 Stimmen bei der Abstimmung der SPD-Mitglieder über die große Koalition gültig. Donnernder Applaus für die Beteiligung von 77,86 Prozent.
14.59 Uhr: Jetzt ist es raus, die Bundesrepublik bekommt die dritte große Koalition nach 1966 und 2005. Im Stile einer Buchhalterin verkündet Hendricks: Es gibt 256 643 Ja-Stimmen. 75,96 Prozent Zustimmung zur großen Koalition. Hendricks weiß nun, sie wird tatsächlich Nachfolgerin von Peter Altmaier (CDU) im Umweltressort.
15.00 Uhr: Die neue Familienministerin Manuela Schwesig winkt den Helfern zu, der Wieder-Außenminister Frank-Walter Steinmeier strahlt, Gabriel, neuer Wirtschafts- und Energieminister, wirkt sehr gerührt. Generalsekretärin Nahles, nun Arbeitsministerin, wirkt vor allem erleichtert. Der neue Justizminister Heiko Maas fehlt. Ebenso wie übrigens der gescheiterte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Plötzlich feiert die SPD eine Koalition, die sie nie wollte.
15.05 Uhr: Gabriel wird gefragt, warum bei der SPD das Finale mit der Kabinettsbesetzung besser laufe als bei der Union, wo es hin und her gehe „Bei uns läuft es nicht besser, bei uns läuft es anders“, meint Gabriel. Dann gibt der neue Vizekanzler nach harten Wochen die Devise aus: „Jetzt wird es auch mal Zeit, dass Weihnachten ist.“
15.16 Uhr: Kanzlerin Merkel (CDU) gratuliert Gabriel und der SPD. Und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärt: „Wir freuen uns, dass nun die gemeinsame Regierungsarbeit zügig beginnen kann.“
18.18 Uhr: Eine Pressemitteilung mit Betreff „Ressortverteilung“ wird verschickt. Union und SPD teilen mit, wie sie das Kabinett aufteilen. Die Namen sind noch offen, die meisten aber schon bekannt. Allenthalben ist Erleichterung zu spüren, dass es nun losgehen kann.
Sonntag, 11.45 Uhr: Die CSU-Besetzungen sickern durch. Gerd Müller soll Entwicklungsminister werden. Hans-Peter Friedrich (CSU) wechselt vom Innen- an die Spitze des Agrarressorts, Alexander Dobrindt wird Minister für Verkehr und Digitale Infrastruktur. Peter Ramsauer ist außen vor. Auch klar: CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wird neuer Gesundheitsminister, Johanna Wanka (CDU) bleibt Bildungsministerin.
Sonntag, 12.40: Nachdem Ronald Pofalla den „Höllenjob“ als Chef des Kanzleramts nicht weiter macht, soll es nun der bisherige Umweltminister Peter Altmaier (CDU) richten, wird bestätigt. Er wird sich nun umstellen müssen. Neuland für ihn: Eine Woche schon schweigt er in dem von ihm so geliebten Kurznachrichtendienst Twitter.