Analyse: CDU weit entfernt von gesetzlichem Mindestlohn

Berlin (dpa) - Ausstieg aus der Atomenergie, Abschaffung der Wehrpflicht, Infragestellen der Hauptschule - die CDU hat in diesem Jahr bereits viele Tabubrüche vollzogen.

Kommt jetzt in Sachen Mindestlohn die nächste Kehrtwende? Nein, von einem gesetzlich festgelegten Mindestlohn, wie ihn vor allem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert, ist die Union weit entfernt.

Was will die CDU?

Der CDU-Bundesparteitag Mitte November in Leipzig soll nach der Empfehlung der Antragskommission beschließen, dass eine „allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze“ für jene Branchen eingeführt wird, in denen es keinen tarifvertraglich festgelegten Lohn gibt. „Wir wollen eine durch die Tarifpartner bestimmte und damit marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und keinen politischen Mindestlohn“, heißt es weiter. Soll heißen: Es ist keine gesetzliche Regelung geplant. Vielmehr sollen Arbeitgeber und Gewerkschaften diese Lohnuntergrenze aushandeln. Deren Höhe soll sich am Tarifabschluss für Zeitarbeitnehmer orientieren, der bei 6,89 Euro (Osten) bis 7,79 Euro (Westen) liegt.

Schwenkt die CDU auf die Linie des DGB ein?

Nein. Der DGB setzt sich seit Jahren für einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Er sieht den Staat in der Pflicht, wenn tarifvertragliche Regelungen nicht zustande kommen. Zunächst forderte der DGB einen Mindeststundenlohn von 7,50 Euro. Der Bundeskongress im Mai 2010 beschloss dann eine Anhebung auf 8,50 Euro pro Stunde. In dem Beschluss hieß es weiter: „Der gesetzliche Mindestlohn soll dann als gesetzliche Untergrenze greifen, wenn Tarifentgelte in den jeweiligen Branchen unterhalb dieser Grenze liegen oder in der Branche keine bzw. nur teilweise tariflichen Regelungen gelten.“

Welche Position vertreten die anderen Parteien?

Die SPD steht an der Seite der Gewerkschaften. Im Leitantrag des SPD-Bundesvorstandes für den Parteitag im Dezember heißt es: „Der Mindestlohn muss für einen Alleinstehenden bei Vollzeitarbeit existenzsichernd sein. Die SPD unterstützt die Forderung des DGB nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro, der regelmäßig durch eine unabhängige Expertenkommission überprüft und angepasst wird.“ Die Grünen plädieren für einen „allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von wenigstens 7,50 Euro je Stunde“. Die Linke verlangt in ihrem neuen Programm einen gesetzlichen Mindestlohn, der 60 Prozent des nationalen Durchschnittseinkommens betragen soll. Die FDP ist für ein „Mindesteinkommen“, lehnt aber gesetzliche, branchenübergreifende Mindestlöhne strikt ab. Sind Löhne zu niedrig für den Lebensunterhalt, sollen sie durch ein „Bürgergeld“ zu einem Mindesteinkommen aufgestockt werden.

Wie ist die Situation in anderen Staaten?

In vielen Ländern der Europäischen Union und anderen Staaten gibt es vom Gesetzgeber vorgegebene Mindestlöhne. Nach einer Übersicht der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung lag der gesetzliche Mindestlohn in der EU Anfang 2011 in Luxemburg am höchsten und in Bulgarien am niedrigsten. Demnach gibt es in 20 der 27 EU-Staaten gesetzliche Mindestlöhne: Luxemburg (10,16 Euro pro Stunde), Frankreich (9,00), Niederlande (8,74), Belgien (8,58), Irland (7,65), Großbritannien (6,91), Slowenien (4,32), Griechenland (4,28), Spanien (3,89), Malta (3,84), Portugal (2,92), Polen (1,85), Tschechien (1,82), Slowakei (1,82), Estland (1,73), Lettland (1,68), Ungarn (1,61), Litauen (1,40), Rumänien (0,93), Bulgarien (0,71).

Und wie sieht es in Deutschland aus?

Auch hierzulande hat der Gesetzgeber in einzelnen Branchen zum Schutz gegen Lohndumping bereits Mindestlöhne festgelegt. Aber: Hier waren die Tarifparteien beteiligt. Arbeitgeber und Gewerkschaften müssen sich auf einen Mindestlohn verständigen und sich auch einig sein, dass diese Lohnuntergrenze über die tarifgebundenen Betriebe hinaus für die gesamte Branche gelten soll. Dann kann das Bundesarbeitsministerium diesen Mindestlohn auf den ganzen Wirtschaftszweig „erstrecken“.

Dies ist bereits in folgenden Branchen geschehen: Abfallwirtschaft, Baugewerbe, Dachdecker- und Elektrohandwerk, Gebäudereiniger, Maler- und Lackierhandwerk, Pflegebranche und Großwäschereien, Wach- und Sicherheitsgewerbe. Für die Zeit- und Leiharbeit ist ein Mindestlohn über das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verbindlich vorgegeben. Den höchsten Mindestlohn gibt es mit 11 bis 13 Euro im westdeutschen Bau-, den niedrigsten mit 6,53 Euro im ostdeutschen Sicherheitsgewerbe.