Analyse: Der beschämte Benedikt
Erfurt (dpa) - Dass der Papst in Deutschland Missbrauchsopfer treffen würde, war zu erwarten. Ort und Zeitpunkt blieben ungewiss. Nun sprach er in Erfurt mit Vertretern von ihnen. Doch Kritiker finden das unzureichend.
Er musste es tun, und er wollte es tun. Gerade in seinem Heimatland konnte Papst Benedikt XVI. die Geste der Scham und der tiefen Bestürzung nicht auslassen - zu schlimme Wunden hatte der Skandal um den sexuellen Missbrauch hinter Kirchenmauern gerissen und das Image seiner katholischen Kirche schwer beschädigt. Also setzte der deutsche Pontifex am Freitagabend im Priesterseminar von Erfurt das Zeichen, das schon öfters bitter notwendig gewesen war: Benedikt traf sich mit zwei Frauen und drei Männern, die von Priestern oder in katholischen Heimen sexuell missbraucht worden waren.
Der Missbrauchskandal in einer ganzen Reihe von Ländern hatte dem 84-jährigen Benedikt die folgenschwerste Krise in seinem noch jungen Pontifikat beschert. Es ist ein Jahr her, dass der Papst in London in der Nuntiatur ebenfalls fünf Missbrauchsopfer traf, sich zutiefst beschämt zeigte und versprach, alles zu tun, damit dieses Übel in der Kirche ausgerottet werde. Die sonst zurückhaltende BBC meldete, dass Joseph Ratzinger dabei Tränen in den Augen gehabt habe - wie zuvor auch bei einer solchen Begegnung auf der Mittelmeerinsel Malta. Es ist eine Geste - Kritiker sagen: mehr aber auch nicht.
Was sich früher hinter Kirchenmauern tat, haben tausende geschädigte Opfer von Priesterwillkür berichtet. Was sich am Freitagabend im Priesterseminar von Erfurt genau ereignete, kann nur einer der wenigen Augenzeugen erzählen. TV-Scheinwerfer oder die schreibende Zunft wurden nicht dazu geladen, als der Papst am Ende eines langen „Arbeitstages“ auch dieses noch auf sich nahm. Ob in den USA, in Australien oder wie jetzt in Deutschland: Der Vatikan hat sich immer geweigert, diese heiklen Begegnungen anzukündigen.
Einer, der mit dabei war, ist der Trierer Bischof Stefan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz. Benedikt wollte sich diesmal auch mit einer Gruppe jener Leute treffen, die sich aus der Kirche heraus um Missbrauchsopfer kümmern. Die Atmosphäre sei gut und frei von Vorwürfen gewesen, so berichtete Ackermann von dem etwa 30-minütigen Treffen. Der Papst sei tief erschüttert gewesen und habe auch seine Scham zum Ausdruck gebracht. Auch wenn seine Kritiker das für eine leere Geste halten, aus dem Umfeld des Papstes heißt es immer wieder, wie schwer ihn die von ihm gegeißelte „Sünde“ in seiner Weltkirche getroffen habe.
Wie schon bei dem Treffen in London vor einem Jahr ist es vor allem eine amerikanische Opferorganisation (Snap), die den Papst auch in diesem Tun für „unehrlich“ hält. „Das Treffen ist eine eher schöne, doch letztlich bedeutungslose Geste eines Mannes, der sehr leicht Kinder schützen könnte, aber sich weigert, dies zu tun.“ So kommentierte der Belgier Emmanuel Henckens von der US-Organisation. Sie möchte den Papst und andere aus der Führungsriege des Vatikans vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bringen. Ob es ihrem Anliegen hilft, den Papst „Gottes Rottweiler“ zu nennen, der beim Missbrauch jetzt aber wie eine „ruhige Miezekatze“ vorgehe? Das bezweifeln manche.
Benedikt hat weltweit in der Kirche Richtlinien gegen Missbrauch sowie eine Zusammenarbeit mit weltlichen Behörden verlangt. Am Freitagabend hat er den Opfern in Erfurt versichert, „dass den Verantwortlichen in der Kirche an der Aufarbeitung aller Missbrauchsdelikte gelegen ist und sie darum bemüht sind, wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu fördern.“ Es war ein Akt der Fürsorge und der Buße.