Analyse: Der endlose Streit ums Betreuungsgeld
Berlin (dpa) - Kein Ende im Streit um das Betreuungsgeld. Die Botschaft, dass Hartz-IV-Empfänger von der geplanten Bar-Leistung für daheim erziehende Eltern ausgenommen werden sollen, empört Opposition wie Sozialverbände am Mittwoch gleichermaßen.
Die schwarz-gelbe Koalition spalte, zeige soziale Kälte, schaffe Kleinkinder zweiter Klasse und stigmatisiere die Eltern - so lauten die massiven Vorwürfe. Die CSU, die verbissen um das auch koalitionsintern heftig umstrittene Betreuungsgeld kämpft, kontert mit dem Vorwurf der „Heuchelei“.
Regierungssprecher Steffen Seibert wie seine Kolleginnen aus dem Sozial- und Familienressort mühten sich am Mittwoch vor der Bundespressekonferenz sichtlich um Beschwichtigung. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) werde doch erst im Sommer einen Gesetzentwurf zu den Koalitionsplänen vorlegen, nach denen ab 2013 diejenigen Eltern ein Betreuungsgeld erhalten sollen, die ihre zwei und dreijährigen Kinder selbst betreuen und kein staatlich geförderten Krippen- oder Tagesmutterangebot in Anspruch nehmen. Und bis zur Vorlage des Gesetzentwurfes könne man zu den Details doch auch gar nichts sagen.
Doch allein schon ein Blick in das Sozialgesetzbuch II (SGB) und den Bestimmungen für den Bezug von Hartz-IV-Leistungen für Langzeitarbeitslose wie Arme hätte genügt, die ganze Aufregung vom Mittwoch ein wenig zu relativieren. Hartz-IV gilt als reine Grundsicherung zum Lebensunterhalt und Paragraf 11 des Gesetzes schreibt eindeutig vor, dass alle „Einnahmen in Geld oder Geldeswert“ bei der Leistung grundsätzlich anzurechnen sind.
Das gilt für Verdienste wie für staatliche Sozialleistungen. Mögliche Ausnahmen, Freibeträge oder Abstriche bei der Anrechnung sind klar geregelt - entweder durch Gesetz oder durch zahlreiche Urteile vom Bundessozialgericht bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht - wie etwa beim Bafög für Jugendliche in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften. .
Beim Elterngeld war das allerdings nicht immer so. Bis zum Sparpaket der Koalition von Ende 2010 war das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger grundsätzlich anrechnungsfrei. In der Regel gab es den Mindestbetrag von 300 Euro monatlich. Das galt dann ab 2011 nicht mehr - sofern der Anspruch nicht zuvor durch eigene Berufstätigkeit erworben worden war.
Das neue Betreuungsgeld soll laut Absprache in der Koalitionsrunde im November 2011 analog zum bestehenden Elterngeld geregelt werden - - allein schon um die Hürde der Zustimmungspflichtigkeit im Bundesrat niedrig zu halten. Bereits in dieser Koalitionsrunde habe bereits Einvernehmen geherrscht, die Hartz-IV-Empfänger beim Betreuungsgeld wie beim Elterngeld auszugrenzen, heißt es jetzt aus der Union.
Warum diese Botschaft aber gerade jetzt in die Schlagzeilen gerät, liegt auf der Hand. Zum einen soll damit das Argument der Opposition entkräftet werden, mit der umstrittenen Geldprämie würden ausgerechnet diejenigen Eltern animiert, ihre Kinder aus einer Betreuungseinrichtung fernzuhalten, die besonders auf frühkindliche Bildungsangebote angewiesen sind.
Zum anderen geht die Botschaft aber auch an die Adresse der nicht wenigen Betreuungsgeld-Kritiker in der CDU. „Das Betreuungsgeld ist ein Konjunkturprogramm für Media-Markt und Saturn“ kritisiert etwa der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann im jüngsten „Spiegel“. Also Betreuungsgeld zum Ratenkauf eines neuen Flachbildschirms?
Das Ausgrenzen der Hartz-IV-Kinder beim Betreuungsgeld entkräftigt den Vorwurf der Opposition nur bedingt, dass mit der Geldprämie ausgerechnet bei Eltern aus bildungsfernem Milieu Fehlanreize gesetzt werden. Laut dem Bund-Länder-Bildungsbericht leben in Deutschland 3,9 Millionen Kinder unter 18 Jahre in einer „Risikolage“ - meist, weil ihre Eltern arm sind, keinen Beruf erlernt oder keinen Schulabschluss haben, als Migranten die deutsche Sprache nicht beherrschen - oder ein Elternteil alleinerziehend und ohne Job ist. Doch nur 1,9 Millionen Kinder in „Risikolagen“ erhalten tatsächlich auch Hartz-IV. Der Kreis der Kinder in prekären Lebenssituationen ist also in Wirklichkeit viel größer.