Analyse: Die Kämpferin

Köln (dpa) - Von Schwäche keine Spur. Aber die Macht hat ihre Spuren hinterlassen. Im Gesicht von Angela Merkel, in ihrer Politik als Bundeskanzlerin und ihrem Selbstbewusstsein als CDU-Vorsitzende. Merkels Lippen sind über die Jahre ihres Aufstiegs zur mächtigsten Frau der Welt schmal geworden.

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Ihre Bemerkungen können schneidend sein und mit bloßen Blicken kann sie Gunst und Missgunst verteilen. Am Vorabend des CDU-Parteitags in Köln wird ihr so schlecht, dass sie ein Interview unterbrechen muss. Schwächelt sie? Es hat nicht den Anschein. Selten hat sie eine solch lebendige Rede gehalten wie am Dienstag, dem Tag ihrer achten Wahl zur CDU-Chefin.

Eigentlich ist Merkel keine gute Rednerin. Aber in bald 80 Minuten in Köln liefert sie das, was Christdemokraten hören wollen. Rot-Rot-Grün in Thüringen eine Bankrotterklärung der SPD, im Bund dürfe die Union der SPD von Sigmar Gabriel deshalb nicht trauen. Die FDP, der natürliche Koalitionspartner der Union. Die Grünen, eine Koalitionsoption. Aber 2013 hätten sie die Chance vertan. Breitseite gegen die SPD, den jetzigen Koalitionspartner, der sich im ersten Jahr gemeinsamer Regierung mit Erfolgen wie bei Mindestlohn, Rente ab 63 und Frauenquote als Motor von Schwarz-Rot präsentiert. Die Union bleibt dagegen recht monothematisch bei solider Finanzpolitik.

Dass die Delegierten Merkels Auftritt am Ende mit rekordverdächtigen zehn Minuten stehend beklatschen, liegt aber wesentlich auch an dem Teil ihrer Rede, der an die Partei gerichtet ist. Deutschland nach neunjähriger Merkel-Regierung in bester Verfassung, Haushalt ohne neue Schulden, Industrie kräftig, Arbeitslosenquote niedrig, Familien gestärkt. Kurzum: „Die CDU tut Deutschland gut.“ Da wird wohl wiederum Merkel-Gegnern ein bisschen übel.

Dann noch pure Emotion für die Partei. Sie dankt so ziemlich allen, die etwas mit der CDU zu tun haben. Keiner soll leer ausgehen. Auch Helmut Kohl nicht - mit dem Merkel in der CDU-Spendenaffäre brach. Sie würdigt ihn als den unangefochtenen Kanzler der Einheit. Jubel.

Kurz kann man den Eindruck haben, Merkels Wahlergebnis werde an 100-Prozent-Resultate der DDR oder des ersten CDU-Vorsitzenden Konrad Adenauer heranreichen, der einst auch 100 Prozent bekam. Doch der Kongress wählt Merkel mit 96,7 Prozent. 30 Delegierte stimmen mit Nein. Und: Bei Merkels Wahl geben mit 919 rund 40 Delegierte weniger ihre Stimme ab als später bei der Wahl der Vizes und der Präsidiumsmitglieder. Stiller Protest gegen eine übermächtige Chefin?

Vor zwei Jahren hatte Merkel noch 97,9 Prozent bekommen. Das war vor der Bundestagswahl, bei der die Union mit 41,5 Prozent siegte. Nun also nur das zweitbeste Ergebnis für Merkel, seitdem sie 2000 das Amt übernahm. Eine andere Frau reicht an Merkels Ergebnis von Köln heran: Die Rheinland-Pfälzerin Julia Klöckner mit 96,5 Prozent. Hoffnungsträgerin und Nachwuchstalent der CDU. Eine von wenigen.

So stark die CDU unter Merkels Führung im Bund auch ist, so sehr kränkelt sie in den Ländern. Mitglieder schwärmen von Zeiten, als die Schwarzen noch elf Ministerpräsidenten hatten - plus CSU-Regentschaft in Bayern. Heute sind es noch vier plus eins: Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland, Volker Bouffier in Hessen, Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt und Stanislaw Tillich in Sachsen sowie Seehofer für die CSU in Bayern.

Die Grünen regieren in acht Ländern und damit in zwei mehr als die CDU. In deren Traditionsland Baden-Württemberg stellen die Grünen seit 2011 sogar den Ministerpräsidenten. Sie ärgern sich, dass Merkel sagt, die CDU sei 2013 im Bund zu einer Koalition mit ihnen bereit gewesen - „manche Grüne waren es nicht. Schade drum.“ Die CDU habe einen zu hohen Preis verlangt, schimpfen Grüne. Und wenn die rechtskonservative Alternative für Deutschland weiter Erfolge feiern könne, werde die CDU erst recht nicht den Grünen entgegenkommen können. Merkel erwähnt die AfD nicht.

Dass Merkel international hohes Ansehen genießt und als mächtigste Frau der Welt gilt, macht der SPD und der Opposition das Leben oft schwer. Viele in ihren Reihen erkennen zwar an, dass Merkel viel für das Ansehen Deutschlands leiste. „Joschka Fischer und Otto Schily wären bei dem heutigen Verhalten von Russlands Präsident Putin längst ausgetickt“, sagt ein Grüner. Merkels Nüchternheit sei klug.

Viele finden aber, ihr sei die Rolle in der Welt „zugewachsen“. Es sei kein „Made by Merkel“. Sie entwerfe keine Bilder, keine Visionen, die sie dann zielstrebig verfolge. Sie sei eine kühle Handwerkerin. Über Parteigrenzen hinweg wird aber geschätzt, dass sie eine „ideologiefreie“ Politik mache und sich durch ihre schlechten Erfahrungen in der DDR dem Freiheitsgedanken verpflichtet fühle.

An den Mauerfall knüpft Merkel zum Schluss selbst noch einmal an. Sie erzählt, wie sie 1990 auf dem Vereinigungsparteitag von Kohl zu einer Rede aufgefordert wird. Sie, die Naturwissenschaftlerin aus der DDR, vom Demokratischen Aufbruch. Reden solle sie aber nicht über Politik, sondern über sich selbst. „Sprich lieber über dich und deine Biografie“, sagt Kohl. Merkel bekennt heute: „Ich hatte blanke Panik. Alles war neu und ungewohnt.“ Sie erinnert sich noch, dass sie damals sagte: „Ich freue mich auf eine gemeinsame Arbeit und ich bin auf den gemeinsamen Weg gespannt.“ Das ist 24 Jahre her.