Analyse: Die Kunst der Konsultation

Berlin (dpa) - Für einen Moment verschwindet die Strenge aus dem Gesicht von Wu Hongbo.

Als der chinesische Botschafter in seiner Pressekonferenz zu den ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen mit ironischem Unterton gefragt wird, ob Peking nun der deutschen Atomwirtschaft helfen werde, antwortet er mit einer Gegenfrage: Wenn Deutschland von seiner Kernenergie nichts halte, warum solle China sie dann kaufen? Wu lächelt. Es ist das einzige Mal während seiner 90-minütigen Einstimmung auf das große Treffen der Regierungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao an diesem Montag und Dienstag in Berlin.

Der 59-Jährige steht am vorigen Donnerstag aufrecht in der mit roten Lampions geschmückten Eingangshalle der chinesischen Botschaft in Berlin und würdigt die Beziehungen zu Deutschland. Die deutsche Seite informiert erst an diesem Montag näher über die Konsultationen.

Wu zählt die fünf Besuche auf, die Wen seit seinem Amtsantritt 2003 Deutschland abstattete. Er hebt die Wirtschaftsbeziehungen hervor - 2010 habe China erstmals die USA als Deutschlands größten nichteuropäischen Handelspartner abgelöst. China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen und Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern seien große Volkswirtschaften und einflussreiche Länder. Wie nebenbei erwähnt er, dass China im nächsten Jahr 36 Millionen Wohnungen baue - da passe ganz Deutschland rein.

Die kleine Bundesrepublik ist für China - wie für die USA - vor allem wegen seiner Rolle als größte Volkswirtschaft Europas wichtig. Beide Supermächte setzen auf die Bundesrepublik als Stabilisator und Helfer in der dramatischen Finanz- und Schuldenkrise in der EU. „Der Euro ist eine der wichtigsten Währungen und spielt eine wichtige Rolle für die Weltwirtschaft“, sagt Wu. Denn eine Gefährdung dieser Währung hätte eben auch weltweite Auswirkungen.

In internationalen Fragen sei man sich einig, erwähnt Wu noch. Hier könnte er die Enthaltung beider Länder im Weltsicherheitsrat zum Vorgehen gegen Libyen gemeint haben, was Deutschlands westliche Partner extrem irritierte. Kurzum: Deutschland und China seien in einer „Win-Win-Situation“ - der Gewinn für beide Seiten sei sicher. Zum knapp 24-stündigen Aufenthalt von Wen in Berlin so viel: „Der Besuch ist kurz, der Inhalt ist reich.“

Als die Sprache auf den am vorigen Mittwoch gegen strenge Auflagen aus der Haft entlassenen Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei und die Menschenrechtslage in China kommt, verzieht Wu keine Miene. Aber seine Worte sind schneidend. Die oft beschriebene öffentliche Zurückhaltung der Chinesen in heiklen Fragen liegt Wu nun fern. „Wir haben keine Angst vor Diskussionen, aber wir akzeptieren nicht, wenn man uns eine andere Meinung aufzwingen will.“

Die Haltung, China belehren zu wollen, wie es leben soll, sei „arrogant“. Ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen sei kompliziert. „Wenn Sie China mit den Maßstäben messen, die Ihnen vertraut sind, werden Sie China nicht verstehen.“ China habe eine andere Geschichte, eine andere Kultur und eine andere Tradition.

Inwieweit Merkel Menschenrechtsverletzungen in China ansprechen wird, ist ungewiss. Man weiß aber spätestens seit ihrem Treffen mit dem Dalai Lama 2007, dass sie Konflikten nicht aus dem Weg geht - und wenn es ein symbolischer Empfang im Kanzleramt ist. China, das Tibet besetzt hält, warf Merkel damals Einmischung in innere Angelegenheiten vor.

Auch Deutschland hat eine eigene Kultur und eine eigene Geschichte. Der Wannsee in Berlin steht für beides. Es gibt dort viele Villen, unter anderem den einstigen Sommersitz eines Meisters des deutschen Impressionismus: Max Liebermann. Die Nationalsozialisten brandmarkten seine Werke als „entartet“ und entfernten sie aus öffentlichen Museen. Aus Protest gegen ihre Propaganda legte Liebermann 1933 alle öffentlichen Ämter nieder und zog sich verbittert an den Wannsee zurück. In dieses Haus lädt Merkel Wen am Montagabend vor Beginn der Konsultationen ein.