Analyse: Die SPD träumt vom Kanzleramt
Berlin (dpa) - Ein glanzloser Sieg in Berlin rundet für die SPD ein gutes Wahljahr ab. Bei sieben Wahlen reichte es sieben Mal für die Regierung. Die SPD ist sich sicher, dass sie spätestens 2013 wieder im Kanzleramt sitzt - doch ihr Erfolg ist bisher auch die Schwäche der Anderen.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat etwas, das Parteifreunde wie Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel oder Frank-Walter Steinmeier nicht haben: Er hat schon Wahlen für die SPD gewonnen. Und zwar gleich drei Mal hintereinander. Wenn am Sonntag auch reichlich glanzlos. Wie ein Popstar tänzelt er dennoch nach seinem „Hattrick“ klatschend über die Bühne der überfüllten Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg. Per Umarmung dankt er seinem Lebensgefährten Jörn Kubicki: „Jörn hat auch viel ausgehalten in dieser Zeit.“
„Wowis“ mageres Ergebnis ist der SPD fast egal, Hauptsache gewonnen. Den Sozialdemokraten geht es vor allem um den Trend. Und der ist derzeit klar rot-grün. Die Parteilinke hält Wowereit für einen geeigneten Bewerber im Rennen um die Kanzlerkandidatur. Das Ergebnis dürfte seine Position in der K-Frage aber nicht gestärkt haben.
Am Abend lässt der der 57-Jährige bei „Günther Jauch“ in der ARD offen, ob er überhaupt Kanzler werden wollte - der Parteivize wiederholt etwas verklausuliert das Mantra, dass der ins Rennen gehen soll, der das beste Angebot für die Wähler verkörpert. Ende 2012 oder Anfang 2013 werde die K-Frage entschieden, wenn es vorher nicht zu Neuwahlen kommt. Wowereit könnte vom Roten Rathaus nach der nächsten Wahl auch auf einen Ministerposten wechseln, so wird spekuliert.
Die Marschroute der Bundes-SPD nach der Berlin-Wahl ist jedenfalls klar: Keinesfalls will man bei einem Zerbrechen von Schwarz-Gelb in eine Koalition unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eintreten. Spätestens 2013 will die SPD mit den Grünen auch im Bund wieder regieren - daher wäre Rot-Grün auch in Berlin willkommen.
Parteichef Sigmar Gabriel ruft den jubelnden Anhängern in der Kulturbrauerei zu, Schwarz-Gelb habe endgültig abgewirtschaftet. Es sei ein gutes Zeichen, dass die FDP mit ihrem „Euro-Populismus“ abgestraft worden sei. Die SPD könnte bei einem Ausscheiden der FDP eine Minderheitsregierung Merkels bis zur Neuwahl lediglich in wichtigen einigen Fragen unterstützen. Das beträfe die Ausweitung der Griechenland-Hilfen, die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms und die Einrichtung eines dauerhaften Hilfsfonds für kriselnde Euro-Länder.
Nicht vergessen ist in der Partei, wozu die letzte große Koalition im Bund führte. Fast schon traditionell wurde der kleinere Partner abgestraft - die SPD stürzte vor zwei Jahren bei der Bundestagswahl auf historisch schlechte 23 Prozent ab. „Wir brauchen im Moment kaum etwas zu machen, für uns läuft es perfekt“, sagt ein Führungsmitglied mit Blick auf die gänzlich andere Situation im September 2011. SPD- Chef Sigmar Gabriel betont gern, dass die früher Union und FDP wohlgesonnenen konservativen Zeitungen mit ihrer hämischen Kritik an Schwarz-Gelb die besten Stichwörter für die eigenen Reden lieferten.
Der wenig glänzende Sieg in Berlin rundet eine Reihe zum Großteil guter Ergebnisse im laufenden Jahr ab. In Hamburg gab es unter Olaf Scholz eine absolute Mehrheit, in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern blieb die SPD wie in Berlin stärkste Partei. In Baden-Württemberg waren 23,1 Prozent zwar schlecht, aber sie reichten für den Eintritt in die Regierung unter Führung des ersten grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. In Sachsen-Anhalt konnte die Junior-Beteiligung in der Koalition mit der CDU gehalten werden. Kurt Beck verlor in Rheinland-Pfalz die absolute Mehrheit für die SPD, kann aber mit den Grünen als dienstältester Ministerpräsident weiterregieren.
Bei der SPD weiß man, dass so manche Stimme weniger eigener Attraktivität als vielmehr dem Zustand der schwarz-gelben Koalition geschuldet ist. Und wo früher Inhalte im Vordergrund standen, sind es derzeit vor allem Köpfe, die die SPD wieder „sexy“ machen - sei es der als Kanzlerkandidat gehandelte frühere Finanzminister Steinbrück, Wowereit in Berlin oder Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, der Horst Seehofer das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten abjagen könnte. Das große Plus sind derzeit Ruhe und Harmonie - 70 der Bürger nehmen die SPD als geschlossen wahr.
Sollte es bereits 2012 Neuwahlen geben, dürfte an Steinbrück als Kandidat der SPD kaum ein Weg vorbeiführen, weil er den Deutschen als vertrauenswürdiger Krisenmanager gilt. Die Genossen sind froh ob der schwelenden K-Debatte - lenkt diese doch seit Wochen Aufmerksamkeit auf die SPD. Und seit der Sommerpause steigen auch die Umfragewerte merklich - sie kommen denen der Union immer näher. Zudem könnte bald wieder die 500 000-Mitglieder-Marke fallen - die frühere Millionen-Partei zählte zuletzt nur noch 498 616 Mitglieder.