Analyse: „Ein Schwein wird nicht allein vom Wiegen fett“
Berlin (dpa) - International gilt die deutsche Grundschule als gut aufgestellt - auch wenn zwischen den Bundesländern Leistungsdifferenzen klaffen. Ein bloßes Anziehen des Lernniveaus würde auch eine selbstbewusstere Elternschaft nicht mitmachen.
Reiht man allein die zahlreichen innerdeutschen Schulstudien und Bundesländervergleiche aneinander, die seit dem Pisa-Schock von 2001 produziert wurden, dann reichen auch gut zwei Meter Platz im Bücherregal kaum aus. Zwei Aussagen haben alle diese Studien gemeinsam. Zum einen: Vor allem im Süden Deutschlands lernt es sich besser - meist liegt Bayern vorn, mal Thüringen, mal Sachsen. Und zum zweiten: Nach wie vor gibt es bundesweit eine extrem hohe Abhängigkeit zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg - wenn auch zwischen den Bundesländern sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Gut zehn Jahre nach dem miserablen deutschen Abschneiden bei dem weltweiten Pisa-Schulleistungsvergleich sind die Bildungsprobleme der Bundesrepublik durch eine kaum noch überschaubare Zahl diverser Studien inzwischen bis ins allerletzte Detail beschrieben. Allein der Bund gibt inzwischen 180 Millionen Euro pro Jahr für Bildungsforschung aus.
„Wir haben längst kein Erkenntnisdefizit mehr, sondern ein Handlungsdefizit“, kritisiert Marianne Demmer, Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Und selbst Kultusministerkonferenz-Präsident Ties Rabe (Hamburg/SPD) pflichtet ihr bei, dass man diese Kritik nicht einfach beiseite schieben könne.
Denn was sollen allein beschreibende Bundesländer-Vergleiche, wenn man etwa die Leistungen der Grundschulen im „armen“ Ballungsraum Berlin mit denen im „reichen“, ländlichen Flächenstaat Bayern vergleicht - und dann feststellt, dass die Kinder ganz im Süden der Republik in Mathematik schon ein Schuljahr weiter sind als die Gleichaltrigen an der Spree?
Erstmals haben die Forscher vom ländereigenen Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) eine bundesweite Großstadtquote ausgerechnet, um vor allem die Berliner, Bremer und Hamburger Migrantenprobleme mit denen in Städten von über 300 000 Einwohnern annähernd vergleichbar zu machen.
Rabe und auch andere Kultusminister-Kollegen möchten künftig von den Schulforschern weniger komplette Vergleiche ganzer Bundesländer, dafür mehr Ursachenforschung. Doch für echte Abhilfe bei den längst erkannten Problemen bedarf es schon mehr. Und häufig geht es auch ums Geld. „Ein Schwein wird nicht allein vom Wiegen fett“, sagt der Gießener Erziehungswissenschaftler Norbert Neuß mit Blick auf die vielen Schuluntersuchungen.
Doch die mit dem aktuellen Schulvergleich jetzt erneut offen gelegten Leistungsdiskrepanzen zwischen den einzelnen Bundesländern lenken ein wenig von der Tatsache ab, dass die deutschen Grundschulen im internationalem Vergleich eigentlich gut aufgestellt sind. Dies haben die internationalen IGLU-Studien mehrfach belegt. Eine neue Untersuchung wird Mitte Dezember erwartet. Die eigentlichen deutschen Schulprobleme manifestieren sich vor allem in Sekundarstufe I (Klassen fünf bis zehn).
Die Frage ist auch, ob viele Eltern ein bloßes Anziehen des Lernniveaus in der Grundschule widerspruchslos hinnehmen würden. Laut jüngsten Meinungsumfragen sagen Eltern zwar Ja zu mehr frühkindlicher Bildung, wollen aber, dass die Kleinen vor allem spielen und nicht so viel pauken.
In Bayern wird vor allem bei akademisch gebildeten Eltern eine zunehmende Tendenz beobachtet, ihr Kind vor der Einschulung noch ein Jahr zurückstellen zu lassen. Es soll noch mehr Zeit zur eigenen Reife haben - um dann leichter die vier Jahre Grundschule und den anschließenden Sprung ins Gymnasium zu schaffen. Der jüngste Bund-Länder-Bildungsbericht verweist darauf, dass die Kultusministerien in Bayern und Nordrhein-Westfalen bereits vorbereitete Erlasse für einen noch früheren Einschulungstermin der Kinder in Sorge vor Elternprotesten wieder zurückgezogen haben.