Analyse: FDP-Pleite Nummer sechs

Berlin (dpa) - Jetzt muss sich die FDP schon im eigenen Haus verhöhnen lassen. Als die erschütternde ARD-Prognose von nur etwa zwei Prozent auf den Bildschirmen im Berliner Thomas-Dehler-Haus erschien, brach lauter Jubel aus.

Knapp 30 Aktivisten der „Partei“, mit der der Ex-„Titanic“-Satiriker Martin Sonneborn zur Wahl antrat, hatten sich unter das FDP-Publikum gemischt.

„Wir freuen uns, dass die letzte Spaßpartei rausgeflogen ist“, sagte einer der Sonneborn-Freunde. Die Liberalen reagierten konsterniert. Als Sonneborn sich dann am FDP-Pult in Siegerpose zeigte, wurde es den Hausherren aber zu bunt. Sicherheitsleute geleiteten ihn hinaus.

Parteichef Philipp Rösler ließ sich nicht blicken. Der blasse Berliner Spitzenkandidat Christoph Meyer musste zunächst den Anhängern die Pleite erklären. Ihm war aus der FDP-Spitze eine schwache Kampagne mit schrägen Plakaten angelastet worden. Generalsekretär Christian Lindner meinte, man müsse das Resultat „in Demut“ annehmen und sich nun besinnen: „Das dramatische Ergebnis ist ein Tiefpunkt und Weckruf zugleich.“

Am Abend stellte sich Rösler den Fragen von ARD-Moderator Günther Jauch. „Für mich war immer klar, das wird ein schwerer Weg“, sagt er. Persönliche Konsequenzen lehnte er jedoch ab. Rösler verteidigte trotz des Absturzes seine Äußerung, notfalls über eine geordnete Insolvenz Griechenlands nachzudenken. „Die führenden Wirtschaftswissenschaftler haben sich klar hinter mein Konzept gestellt.“

Doch dem Koalitionsfrieden ist dieser Kurs abträglich - und der Wähler hat ihn nicht honoriert: Am Abend lag in Berlin auch die rechtsextreme NPD vielerorts vor der FDP, die mit unter zwei Prozent hart landet.

Berlin ist für die FDP in diesem Jahr nun schon die sechste Wahlpleite. Auch in Bremen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern schafften sie es nicht ins Landesparlament. In ihrem „Stammland“ Baden-Württemberg gelang dies mit Ach und Krach, aber in der Regierung sitzt die FDP dort auch nicht mehr.

Für Rösler, erst seit Mai an der Spitze, stehen jetzt unangenehme Tage und Wochen bevor. Mit dem harten Kurs gegen Griechenland hat der 38-Jährige an der FDP-Basis Erwartungen geweckt, die er kaum erfüllen kann. Die Hoffnung, in Berlin damit noch die Kurve zu kriegen, hat sich nun zerschlagen.

Dass Rösler versuchen wird, Außenminister Guido Westerwelle die Schuld für die Niederlage in die Schuhe zu schieben, glaubt kaum jemand in der engeren Parteiführung. Es wäre öffentlich nicht vermittelbar, Westerwelle als Sündenbock zu präsentieren. So auch eine Umfrage der ARD: Rund 84 Prozent der Deutschen hielten die FDP für die zerstrittenste Partei.

Intern sagen viele, Rösler habe es versäumt, den Ex-Chef vor drei Wochen in der Libyen-Frage aus dem Weg zu räumen. „Für die Berlin- Wahl kann Rösler sich nicht wegducken. Schließlich steht er persönlich für den neuen Euro-Kurs“, sagte ein einflussreicher Liberaler.

Westerwelle selbst will sich mit der Wahlschlappe nicht länger aufhalten: Er reist am Montag für eine Woche zur UN-Generalversammlung nach New York.

Die am Boden liegende FDP ist für die Koalition von Angela Merkel (CDU) eine wachsende Gefahr. In der Union wird gefürchtet, dass die FDP unkalkulierbar wird und notfalls einen Koalitionsbruch riskiert, um sich als aufrechte Verfechterin von deutschen Steuerzahler- Interessen neu zu positionieren.

Zu einer Zerreißprobe könnte in der FDP der Mitgliederentscheid werden. Eine Gruppe von „Euro-Rebellen“ will den dauerhaften Rettungsschirm ESM verhindern. Fraglich bleibt, wie eine Regierungspartei staatstragend und rebellisch zugleich sein kann. Intern gilt Röslers Bewährungszeit bis Mai 2012. Dann wird in Schleswig-Holstein gewählt.