Analyse: Gericht muss Platz machen für türkische Medien

München (dpa) - Fast drei Wochen hat sich das Oberlandesgericht München gesträubt, aber jetzt muss es sich bewegen. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ausländische - also auch türkische Medien - nun doch Plätze beim Prozess gegen das rechtsextremistische Terrornetz NSU bekommen.

Acht der zehn Mordopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) hatten türkische Wurzeln. Auf die Verfassungsbeschwerde der türkischen Zeitung „Sabah“ hin verfügte das höchste Gericht, dass der Senat unter Vorsitz von Manfred Götzl „eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten“ vergeben muss.

Den einfachsten Weg zeigte Karlsruhe auch gleich auf: „Möglich wäre ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen zu eröffnen, in dem nach dem Prioritätsprinzip oder etwa nach dem Losverfahren Plätze vergeben werden.“

Der Senat könne freilich auch die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln gestalten. Selbst das würde nicht bedeuten, dass der Prozessauftakt am nächsten Mittwoch gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sowie vier mutmaßliche NSU-Helfer platzt. Wenn die Akkreditierung insgesamt aufgehoben werden sollte, könnten allerdings chaotische Zustände entstehen, sofern alle Journalisten mit dem Publikum anstehen müssten.

Bei dem umstrittenen Akkreditierungsverfahren nach Eingang der Gesuche hatten türkische Medien keinen der 50 Plätze ergattert - und der Staatsschutzsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl hatte Änderungen abgelehnt.

Spätestens nach der massiven Kritik von Politik und Medien steckte er in der Zwickmühle. Hätte der Senat da noch Änderungen vorgenommen, hätte man ihm vorwerfen können, auf Druck eingeknickt und nicht unabhängig zu sein. Damit hätte er wiederum einen Revisionsgrund geschaffen und die spätere Aufhebung des Urteils riskiert. Wie der Senat das Urteil konkret umsetzen wird, war am Freitagabend unklar. OLG-Sprecherin Margarete Nötzel teilte auf Anfrage mit, sie könne sich erst äußern, wenn der 6. Strafsenat entschieden habe, wie weiter zu verfahren sei.

Der stellvertretende Chefredakteur der „Sabah“, Ismail Erel, hatte die E-Mail zum Start des Akkreditierungsverfahrens knapp 20 Minuten nach anderen Journalisten bekommen. „Wir haben uns nicht zu Unrecht ungleich behandelt gefühlt“, sagt er jetzt nach dem Urteil. „Das Gericht hat ein ganz klares Signal gesetzt.“ Nach Versäumnissen bei den Ermittlungen, falschen Verdächtigungen von Angehörigen auch noch eine Panne im Vorfeld der juristischen Aufarbeitung - das gab kein gutes Bild.

Inzwischen ist der Gerichtssaal A 101 für den Prozess aufgerüstet - mit Mikrofonen, Kameras, einer Anlage für Simultanübersetzungen, Sichtschutz nach draußen und zusätzlichen Plätzen. Das obligatorische Kreuz über dem Eingang ist abgehängt - möglicherweise aber nur, weil frisch gestrichen wurde. Etwa 250 Sitze hat der für 1,25 Millionen Euro umgebaute Saal nun, etwa 100 mehr als vorher.

Trotzdem wird es eng in dem Saal - und nicht nur auf den Presseplätzen. Knapp vor den Bundesanwälten steht der Zeugenstand, dicht an den Bänken, auf denen die fünf Angeklagten und elf Verteidiger Platz nehmen sollen. Zwischen Anklagebank und Sachverständigen wiederum bleibt kaum Platz zum Durchschlüpfen. Gleich dahinter sitzen schon die Nebenkläger. Erstmals treten Angehörige der zehn Mordopfer der mutmaßlichen Mittäterin Zschäpe und möglichen Helfern gegenüber.

Manche hatten gehofft, dass Karlsruhe einen Hinweis geben würde, ob eine Übertragung in einen zweiten Saal in diesem Fall rechtlich zulässig wäre. Eine Reihe namhafter Juristen sahen das als gangbaren Weg. Doch dazu äußerte sich Karlsruhe nicht.