Analyse: Griechenland muss weiter bangen
Athen (dpa) - Auf dem Papier liegen die griechischen Eurobefürworter vorn. Aber können die Parteichefs diesmal über den eigenen Schatten springen und eine Regierungskoalition bilden? Noch steht Athen am selben Punkt wie nach der Wahl vor sechs Wochen.
Sehr dicht am Abgrund.
Das Wahlergebnis verschlug zunächst allen politischen Akteuren in Griechenland die Sprache. Erst drei Stunden nach der ersten Prognose äußerten sich die Parteiführer. Nach einem dramatischen Kopf-an-Kopf-Rennen war zu diesem Zeitpunkt erst klar, dass die Eurobefürworter das Rennen gemacht haben - allerdings nur rein rechnerisch auf dem Papier. Noch steht nicht endgültig fest, ob Griechenland in der Eurozone bleibt oder zur Drachme zurückkehrt - mit all den unabsehbaren Folgen.
Im Prinzip steht Griechenland da, wo es nach der Wahl vor sechs Wochen bereits gestanden hatte. Die Parteiführer müssen jetzt einen neuen Anlauf nehmen, sich zusammenzuraufen. Die Wähler erwarten eine stabile Regierung. Weit über ein Drittel der Wähler hat auch eine weitere Botschaft ausgesandt: Schluss mit Spar- und Reformkurs. „Das Volk hat zweimal innerhalb von sechs Wochen das Sparprogramm verurteilt“, meint der Führer der radikalen Linken, Alexis Tsipras. Und es ist wahrscheinlich auch als Drohung gemeint, wenn der neue Polit-Star sagt, die neue Regierung müsse wissen, dass sie bei den großen Themen nicht ohne das Volk agieren könne. „Ab Montag setzen wir den Kampf fort. Ein neuer Tag für Griechenland kommt“, sagt der 37-Jährige. Tsipras will das Sparprogramm auf Eis legen und sogar die Löhne anheben. Wie er das schaffen will, vor allem wenn die Geldgeber den Geldhahn abdrehen, sagt er nicht.
Die Radikallinken sind zweifelsohne große Gewinner in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise. Viele ehemalige Wähler der Sozialisten sind zu dem Bündnis übergelaufen. Zudem vertrauen junge Menschen mehr den Linken als den Konservativen und den Sozialisten. Die hatten das Land schließlich mit Vetternwirtschaft und Korruption ganz nah an den Abgrund geführt. Auch die Faschisten von der Partei Goldene Morgenröte profitieren von Protestwählern. Mit bis zu 7 Prozent der Stimmen werden sie auch wieder im neuen Parlament vertreten sein.
Die politischen Fronten sind damit klar. Die Konservativen sind die stärkste politische Kraft. „Das Volk hat die Politiker gewählt, die für Wachstum und Verbleib im Euroland sind. Griechenlands Position in Europa wird nicht mehr gefährdet sein“, sagt Parteichef Antonis Samaras in seiner Siegesrede. Allerdings beklagen auch viele Parteimitglieder, dass die harten Sparauflagen die griechische Wirtschaft abwürgen. Die Arbeitslosenquote liegt bei 23 Prozent. Jeder zweite junge Grieche hat keine Arbeit. Soziale Explosionen scheinen nur eine Frage der Zeit.
Deshalb wollen auch die Konservativen in Verhandlungen mit den Geldgebern erreichen, dass das Sparpaket gelockert wird. Die Geldgeber signalisierten noch am Wahlabend, dass sie bereit sind, über zeitlichen Aufschub zu reden. „Am Weg der Reformen führt kein Weg vorbei“, stellt Außenminister Guido Westerwelle (FDP) klar.
In einer Sache sind sich alle Griechen einig: Das Land benötigt dringend eine handlungsfähige und stabile Regierung, die es aus der Krise führt. „Macht es doch so wie die griechische Nationalmannschaft. Mit nationaler Einigkeit“, meinte ein Radiokommentator. Am Samstagabend hatten die Griechen bei der Fußball-EM den Favoriten Russland mit einem überraschenden 1:0 Sieg nach Hause geschickt. Ausgiebig wurde anschließend das „Wunder von Warschau“ gefeiert.
Auch in Athen wäre ein Wunder nötig, damit Griechenland endlich zur Ruhe kommt. Denn selbst, wenn die Befürworter eines proeuropäischen Kurses - die Bürgerlichen und die Sozialisten - am Ende gewinnen, könnten Linksradikale und Kommunisten mit Streiks alle Reformbemühungen zunichtemachen.