Analyse: Griechenland verliert die Nerven

Athen (dpa) - Das griechische Volk ist allmählich am Ende der Kräfte. Viele sind verzweifelt. Ganze Familien werden inzwischen von der Kirche und mit Spenden derer durchgefüttert, die noch Geld haben.

Diesen Menschen kann niemand mehr mit Bankrott, Pleite, Untergang drohen.

„Wir erleben das schon“, sagen sie. Die Stunde Null - Staatsbankrott und Exodus der Griechen aus dem einst segensreichen Euroland - rückt aus der Sicht vieler immer näher. Das griechische Drama droht ein tragisches Ende zu nehmen.

Viele scheinen sich damit abgefunden zu haben und wollen nicht mehr kämpfen. Für einige sieht der Alltag mittlerweile so aus: Die Familie ist seit Monaten Bankrott. Arbeitslosengeld gibt es nur für zwölf Monate und dann auch nur etwa 380 Euro im Monat. Danach ist jeder auf sich allein angewiesen - ohne Einkommen, ohne Versicherung.

„Zu lange haben die 'Alleswisser' in Athen und Brüssel Sparprogramme ausgearbeitet“, klagt Thymios Ioannidis, ein arbeitsloser Schweißer aus der Hafenstadt Kalamata. „Wo mein Sohn selbst zu einem geringen Lohn Arbeit finden könnte, darüber sind sie noch am Beraten.“ Über die sogenannten Task Forces, die übers Land ziehen und Investitionen ankurbeln sollen, hat er nur noch ein müdes Lächeln übrig: „Ha! Lächerlich! Kein einziger Arbeitsplatz ist geschaffen worden.“

Viele dieser Leute sind längst bereit jedem zu glauben, der ihnen eine bessere Zukunft verspricht - wie den Linksradikalen, die das Sparprogramm Griechenlands für null und nichtig erklären wollen. Ihr Chef Alexis Tsipras spricht mit großem Erfolg Menschen an, um die sich in den vergangenen drei Jahren niemand gekümmert hat. Von 4,6 Prozent im Jahr 2009 wuchs seine Partei auf 16,8 Prozent bei der Wahl am Sonntag an. Er setzt auf Neuwahlen, um noch mehr Stimmen zu bekommen.

Woher das Geld kommen soll, wenn die Geldgeber den Geldhahn zudrehen, erklärt Tsipras nicht. Vielen Wählern scheint das mittlerweile auch egal zu sein. „Wenn wir untergehen, dann ziehen wir so viele mit, wie wir können“, ist aus Gesprächen in Kreisen der radikalisierten Arbeiterklasse herauszuhören.

Auch die früher privilegierten Staatsbediensteten werden immer radikaler. Das Sparprogramm sieht vor, dass 150 000 gehen sollen. „Ich nehme sie mit (die etablierten politischen Kräfte)“, sagt ein Angestellter des Presseamtes in Athen.

Panik herrscht unter den Griechen, die ihre Zukunft nach wie vor im Euroland sehen und glauben, dass der Austritt zu einem noch nie dagewesenen Chaos führen könnte. Noch sind sie Umfragen zufolge in der Mehrheit. Verzweifelt rufen der Industrieverband und der Verband der Hoteliers die Parteien auf, sofort eine Regierung zu bilden. Wegen der andauernden Krise seien die Buchungen um 15 Prozent zurückgegangen.

„Die Parteien, die ins Parlament gekommen sind, müssen sich jede Mühe geben, damit das Land regiert wird und ein Signal der Einigkeit und Stabilität von ihm ausgeht“, heißt es flehentlich in einer Erklärung des Hotelierverbandes. Immerhin habe Griechenland 10 000 Hotels und Pensionen, die hunderttausenden Menschen Arbeit geben.

Beobachter hoffen, dass das Land noch in letzter Minute seinen Weg findet. Analysten weisen auf Parallelen zwischen dem heutigen Griechenland und der Weimarer Republik in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts hin. Bei den jüngsten Wahlen in Griechenland bekamen die Faschisten erstmals in der Geschichte des Landes mehr als 440 000 Stimmen - knapp sieben Prozent.

Trauriger Kontrast: Während das Land unterzugehen droht, wurde am Donnerstag das Olympischen Feuer im antiken Olympia auf der südgriechischen Halbinsel Peloponnes entzündet. Viele Griechen erinnern sich wehmütig an das Jahr 2004, als die Olympischen Spiele in Athen stattfanden. „Damals ahnte niemand, was uns zustoßen würde“, sagte einer der Fackelläufer.