Analyse: Immer noch Berlusconi
Berlin (dpa) - Mit Glückwunsch-Telegrammen an Wahlsieger anderswo in Europa hat Angela Merkel schon eine gewisse Erfahrung. Längst beherrscht sie auch die Kunst, in die freundliche Gratulation ein paar mahnende Worte einfließen zu lassen.
So wünschte sie dem neuen Kollegen aus dem Euro-Krisenland im Süden „viel Erfolg, Kraft und eine glückliche Hand“ bei der Bewältigung der anstehenden Herausforderungen - „insbesondere in der Wirtschafts- und Finanzpolitik“.
Das Schreiben von Montag ging allerdings an keinen Italiener, sondern an Zyperns künftigen konservativen Präsidenten Nikos Anastasiades, der sich auf der Mittelmeerinsel am Wochenende erwartungsgemäß durchsetzen konnte. Für ein Glückwunsch-Telegramm nach Rom war es hingegen noch eindeutig zu früh: Dort sah es am Abend zunächst nach einem Patt aus. Auf dem Rückflug von ihrer Türkei-Reise wurde die Kanzlerin regelmäßig über die jüngsten Zahlen von den italienischen Parlamentswahlen unterrichtet.
Auch sonst hielt sich die Politik in Berlin mit Reaktionen auf die jüngste europäische „Schicksalswahl“ zurück. Offiziell gab es zunächst keinerlei Kommentar - in berechtigter Vorsicht, wie sich die Zahlen entwickeln würden, aber auch mit einiger Fassungslosigkeit darüber, dass es der fast schon abgeschriebene Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi trotz allem mit seinen großen Versprechen auf eine starke Position zumindest im Senat geschafft hatte.
Denn im Wahlkampf hatte die Bundesregierung keinen großen Hehl daraus gemacht, was sie von einer Rückkehr Berlusconis halten würde. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) packte das in die recht undiplomatische Warnung: „Wir sind natürlich nicht Partei. Aber wer auch immer die neue Regierung stellt: Wir setzen darauf, dass der proeuropäische Kurs und die notwendigen Reformen fortgesetzt werden.“ Dies wurde dann auch zur offiziellen Linie der gesamten Bundesregierung erklärt.
So hätte in Berlin wohl niemand etwas dagegen gehabt, wenn in der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone der bisherige Ministerpräsident Mario Monti im Amt geblieben wäre. Der einstige EU-Kommissar ohne große Wahlkampf-Erfahrung lag am Abend jedoch abgeschlagen auf Platz vier. Aber auch mit dem Sozialdemokraten Pier Luigi Bersani, der versprochen hatte, Montis Sanierungskurs mit „sozialen Korrekturen“ fortzusetzen, ließe sich aus Merkels Sicht gut leben - auch wenn das auf europäischem Gebiet eine weitere Machtverschiebung nach links bedeuten würde.
Bersani als Ministerpräsident - das war am Abend immer noch der wahrscheinlichste Ausgang, was mit den Besonderheiten des italienischen Wahlrechts zusammenhängt, wo die stärkste Partei im Abgeordnetenhaus einen Zuschlag von Extra-Sitzen bekommt. Allerdings bestand durchaus die Möglichkeit, dass Berlusconi die Arbeit der künftigen Regierung über den Senat, die zweite Parlamentskammer blockieren könnte. Und so war in Rom schon wieder von abermaligen Wahlen wegen „Unregierbarkeit“ die Rede - ein Szenario, das man aus deutscher Sicht unbedingt vermeiden wollte.