Analyse: Merkel, die Krise und der griechische Wahlkampf
Athen/Berlin (dpa) - Die zentrale Botschaft hat Angela Merkel schon vorweggenommen. „Griechenland geht einen schweren Weg. Aber wir stehen Griechenland zur Seite“, beteuert sie - zuletzt auf dem CDU-Europaparteitag am vorigen Samstag in Berlin.
Rechtzeitig vor ihrem Athen-Besuch am diesem Freitag signalisiert sie nach Jahren der schmerzhaften Einschnitte Entspannung - für sich und die Griechen: „Ich bin froh, dass ich nicht mehr jeden Tag darüber nachdenken muss, was passieren würden, wenn Griechenland nicht mehr im Euro wäre.“ Und: „Ich bin froh, dass wir uns entschlossen haben: Griechenland bleibt im Euro.“
Wenn die Bundeskanzlerin zur siebenstündigen Visite ins krisengeschüttelte Griechenland kommt, können ihre Gastgeber um den konservativen Regierungschef Antonis Samaras einen Zwischenerfolg in der Schuldenkrise feiern. Schneller als erwartet ist Athen am Kapitalmarkt zurück - vier Jahre nach dem ersten Hilferuf an die Euro-Partner.
Anleger rissen sich regelrecht um die neuen Anleihen. Insgesamt wurden drei Milliarden Euro eingesammelt, rund eine halbe Milliarde mehr als angepeilt. Es gingen laut Finanzministerium Gebote über 20 Milliarden Euro ein. Die Frage ist nur: Wie viel Wahlkampf steckt hinter der griechischen Finanzaktion - und ist sie nachhaltig?
Besonders gute Erinnerungen an ihren jüngsten Athen-Besuch vor rund eineinhalb Jahren dürfte die Kanzlerin nicht haben, wenn sie sich mit Samaras trifft. Mehr als 30 000 Menschen empfingen sie im Oktober 2012 vor dem Parlament, auf dem Syntagma Platz. Es gab beleidigende Sprechchöre und Transparente. Einige stellten Merkel als SS-Offizier mit Hitler-Schnurrbart dar.
Das finanzielle Überleben des Landes hing damals am seidenen Faden. Nur dank internationaler Hilfsprogramme konnte Griechenland im Euroland bleiben und vorerst vor der Pleite gerettet werden. Insgesamt wurde dem Land mit Hilfszusagen von 240 Milliarden Euro unter die Arme gegriffen.
Heute haben manche Reformen gegriffen. Die griechische Regierung entlässt Staatsbedienstete. Die Verschwendung staatlicher Gelder ist gebremst. Überall wird gespart. Und Athen hat 2013 erstmals einen sogenannten Primärüberschuss von knapp drei Milliarden Euro erzielt, der allerdings Zinslasten ausblendet. Erstmals seit 2008 soll es 2014 ein wenn auch geringes Wachstum von 0,6 Prozent geben.
Doch die wirtschaftliche Lage ist kaum besser als vor Beginn der Rettungsaktionen. Für Samaras und seine Koalition mit dem Sozialisten Evangelos Venizelos dürfte Merkels Besuch vor allem eines sein: Dringend benötigter Rückenwind im Europawahlkampf.
Alle Umfragen sagen für die Wahl im Mai ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der stärksten Oppositonspartei voraus, dem Bündnis der radikalen Linken (Syriza). Gewinnt Syriza, dürfte die hauchdünne Regierungsmehrheit von 152 der 300 Abgeordneten im Parlament kippeln. Auch der Kanzlerin ist klar: Die von den Europartnern verlangte Fortsetzung der Reformpolitik stünde damit vor dem Aus.
Die Stimmung bei vielen Bürgern ist trotz der Rückkehr an den Kapitalmarkt unverändert - viele Menschen spüren von einer Verbesserung der Lage bislang nichts, mehr als 27 Prozent haben keinen Job. Fast 60 Prozent der jungen Menschen haben keine Arbeit.
Deswegen dürfte für Merkel der zweite Teil ihres Besuchsprogramms fast noch wichtiger sein als das Vier-Augen-Gespräch mit Samaras. Gemeinsam mit ihm und deutschen Firmenchefs will sie griechische Mittelständler treffen. In einer Extrarunde wird es mit jungen Start-up-Unternehmern um innovative Wirtschaftszweige gehen. Das sei quasi eine Begegnung mit der Zukunft der griechischen Wirtschaft, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert die Erwartung umrissen.
Dass die Lage in Griechenland brenzlig bleibt, konnte die deutsche Delegation den Nachrichten entnehmen: Am Mittwoch legten Streiks gegen die Sparpolitik Teile des Staates und des Verkehrs lahm. Am Tag vor dem Merkel-Besuch explodierte in der Nähe der Notenbank eine Autobombe, es gab schwere Sachschäden. Die Polizei vermutete einen Anschlag einer linksgerichteten Untergrundorganisation.