Analyse: Mubarak klebt an der Macht

Kairo (dpa) - Mit dem Druck der Straße versucht der Friedensnobelpreisträger El Baradei Präsident Mubarak aus dem Amt zu drängen. Doch der 82-Jährige klebt an der Macht. Mubarak wirkt in diesen Tagen wie der greise Chef eines Familienunternehmens, der sich für unverzichtbar hält.

„Geh, tritt zurück, verschwinde“, rufen die Demonstranten. „Nieder mit Mubarak“, haben Oppositionelle überall in Kairo auf die Wände gesprüht. Doch der ägyptische Präsident Husni Mubarak gibt nicht auf. Den Zeitpunkt für einen ehrenvollen Abgang hat er verpasst. Sich nach 30 Jahren in Amt und Würden mit Schimpf und Schande davonjagen zu lassen, das will der alte „Rais“ unbedingt vermeiden. Lieber geht er kleine Schritte auf die Oppositionellen zu, die er bisher drangsaliert, schikaniert und gegeneinander ausgespielt hatte.

Doch obwohl er jetzt den verhassten Innenminister und den unbeliebten Ministerpräsidenten ausgetauscht hat, obwohl er endlich einen Vize-Präsidenten ernannt hat, ist weder sein Volk zufrieden noch sind es die westlichen Regierungen. Die Amerikaner und Europäer haben Mubarak zwei Jahrzehnte lang als Hüter einer mit Menschenrechtsverletzungen erkauften Stabilität geduldet und zum Teil sogar hofiert. Doch das Beispiel Tunesiens, wo der vermeintlich sicher im Sattel sitzende Präsident Zine el Abidine Ben Ali von seinem Volk schneller weggejagt wurde, als die Beamten in Berlin, Brüssel und Paris gucken konnten, hat auch bei den Europäern zu einem flotten Gesinnungswandel geführt.

Ein Großteil der Ägypter wünscht sich einen radikalen Wandel. Mubarak soll weg und mit ihm der ganze verhasste Apparat - von den korrupten Parlamentariern seiner Partei bis zu den Polizeioffizieren, die rechts und links Bestechungsgelder kassieren und ihre schlechte Laune an Taxifahrern und Kleinkriminellen auslassen. Das Problem ist nur, dass die Opposition auch in diesen kritischen Tagen nicht mit einer Stimme spricht. Außerdem hat sie das Militär nicht auf ihre Seite ziehen können. Ganz ohne die Unterstützung der Sicherheitskräfte könnte ein Land wie Ägypten schnell in Anarchie versinken.

Kaum hat Mohammed el Baradei seinen Führungsanspruch kundgetan, fallen ihm die Vertreter der traditionellen Oppositionsparteien in den Rücken. Die liberale Wafd-Partei, die linke Tagammu-Partei und Nasseristen erklären lautstark, von ihnen habe El Baradei kein Mandat erhalten. Das heißt, obwohl Mubarak und seine Getreuen die Einwohner der Großstädte ein Wochenende lang terrorisiert haben, indem sie Polizei abzogen und die Straßen plündernden Kriminellen und Gelegenheitsräubern überließen, hat sich politisch kaum etwas bewegt. Bislang hat Mubarak keine der drei Kernforderungen der Oppositionellen erfüllt, die seit einer Woche auf dem Tahrir-Platz protestieren: Rücktritt, Änderung der Verfassung und Neuwahlen.

Die Fronten sind also immer noch die gleichen wie vor einer Woche. So sind das Misstrauen und die Feindschaft heute noch größer als zuvor. Am Montag versammeln sich vor dem Gebäude der Berufsgenossenschaft der Anwälte im Stadtzentrum von Kairo rund 300 Oppositionelle. Die Demonstranten sind alle mittleren Alters und konservativ gekleidet. Doch sie rufen das gleiche wie die Jugendlichen, die auf dem Tahrir-Platz kampieren: „Verschwinde, verschwinde!“

Die nationale Bewegung für den Wandel, die seit dem vergangenen Jahr versucht, die rivalisierenden Oppositionsgruppen miteinander zu versöhnen, macht am Montag einen Vorschlag. Sie will - falls Mubarak doch noch zurücktreten sollte - eine Übergangsregierung bilden, die sechs Monate im Amt bleiben soll. Diese Zeit würde ihre Ansicht nach ausreichen, um die Verfassung zu ändern und die Wahlen vorzubereiten.

Es wäre eine Übergangsregierung, der zum ersten Mal ein Mitglied der Muslim-Bruderschaft angehören würde, die sich für eine „Islamisierung“ des ägyptischen Staates einsetzt. Auch El Baradei soll dieser Übergangsregierung angehören, außerdem ein Vertreter der Streitkräfte. Bisher ist das Militär aber noch nicht auf El Baradei zugegangen. Am Montagnachmittag versuchen El Baradeis Anhänger zumindest die Wafd-Partei mit ins Boot zu holen. Zur gleichen Zeit wächst die Menge der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz - trotz Ausgangssperre. Für diesen Dienstag ist eine neue Großdemonstration angekündigt. Der Machtkampf am Nil geht in die nächste Runde.