Analyse: Nach dem „Meilenstein“ folgt der Atomkrach
Berlin (dpa) - Die schwarz-gelben Gemeinsamkeiten beim Atomausstieg schmelzen dahin wie die Brennstäbe in Fukushima. Während sich die Kanzlerin in den USA für ihren Freiheitskampf zu Wendezeiten feiern lässt, findet FDP-Generalsekretär Christian Lindner in Berlin wenig freundliche Worte.
Die Liberalen fühlen sich bei der stufenweisen AKW-Abschaltung ab 2015 übergangen und schieben der Union den Schwarzen Peter zu, falls es zu Klagen der Atomkonzerne und „Blackouts“ im Stromnetz kommt.
„Wir haben davor gewarnt und hätten für dieses Risiko gerne Vorsorge getroffen“, sagt Lindner und scheut sich nicht, die beiden Alphatiere der Union - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer - zu attackieren. „Aber die Bundeskanzlerin und insbesondere der bayerische Ministerpräsident haben dargelegt, dass sie keine rechtlichen Bedenken haben.“
Dieser Hieb saß. Rückt die FDP nun etwa vom schwarz-gelben Atomausstieg wieder ab - nur einen Tag nachdem Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) den Konsens als „Meilenstein“ gepriesen hatte? So weit wollte Lindner nicht gehen. Natürlich werde man die Entscheidungen im Bundestag mittragen. In vielen Details müsse es aber Änderungen für mehr Wettbewerb geben.
Um eine Eskalation zu vermeiden, wurde aus der FDP-Spitze gleich nachgereicht, dass die Partei nicht auf dem Kriegspfad sei. Doch unüberhörbar ist, dass die Liberalen von der Art und Weise getroffen sind, wie Merkel sie abblitzen ließ.
Als üble Nachrede wird empfunden, dass die falsche Info durchgestochen worden sei, FDP-Chef Philipp Rösler habe einen Ausstieg erst zum Jahr 2023 gefordert. Dazu kommt die von Unionsleuten mit Genuss erzählte Episode, wie Merkel den Neuling Rösler in die Schranken gewiesen habe („Hier tragen nur Minister vor, nicht Beamte.“)
Augenscheinlich ist für die CDU-Chefin beim historischen Abschied von der Kernenergie der Gedanke, SPD und Grüne ins Boot zu holen, über dem Koalitionsfrieden angesiedelt. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Union sich schon auf eine Zeit nach Schwarz-Gelb einstellt - und damit auf Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün ab 2013 schielt.
Keine guten Vorzeichen für die einstigen Wunschpartner, die im Spätherbst nach zwei Jahren Regieren erst Halbzeit feiern. Statt das Super-Wirtschaftswachstum mit weniger als drei Millionen Arbeitslosen für sich zu nutzen, gönnen sich die Koalitionäre wieder einmal nicht die Butter auf dem Brot.
In der Atom-Sache droht eine Klagewelle der Konzerne. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hält die Lösung mit einer fünfstufigen Abschaltkaskade ab 2015 juristisch für sauber. In einem sachlichen, keineswegs drohenden Brief aber legt RWE-Chef Jürgen Großmann den Finger in die Wunde.
Die Regierung geht davon aus, dass alle AKW ihre zugestandenen Reststrommengen bis zum jeweiligen Abschaltdatum abfahren können. Sie legt dafür eine jährliche Auslastung der Meiler von rund 90 Prozent an. Großmann kommt wegen immer mehr Ökostrom auf höchstens 85 Prozent.
Daher könnte besonders RWE laut eigener Rechnung auf bis zu fünf Jahren Laufzeit sitzen bleiben - dem zweitgrößten deutschen Energieunternehmen drohen Milliarden-Einbußen. Auch kritisiert Großmann, dass Eon viel besser behandelt werde und mehr Geld verdienen dürfe, weil die Düsseldorfer alle Strommengen verbrauchen könnten.
Ob RWE notfalls klagen will, lässt Großmann ebenso offen wie Vattenfall-Chef Øystein Løseth. Dieser fordert eine „faire Entschädigung“ - schließlich seien 700 Millionen Euro in die pannengeplagten Meiler Krümmel und Brunsbüttel investiert worden, die die Regierung nun dichtmachen will.
Ein Einfallstor für die Topjuristen der Konzerne könnte auch sein, dass selbst die Reaktor-Sicherheitskommission sich scheute, AKW- Abschaltungen überhaupt zu empfehlen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass Merkel und Röttgen auf die Sorgen eingehen werden. Dies könnte als Einknicken vor der Atomlobby und vor der FDP gewertet werden.
Im Atomgesetz heißt es, dessen Zweck sei, „die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität geordnet zu beenden“. Nach dem GAU von Fukushima sollen daher die „Berechtigungen der Kernkraftwerke zum Leistungsbetrieb - zeitlich gestaffelt - befristet werden“. Der Staat hat also das letzte Wort - der Atomausstieg an sich kann daher nicht gekippt werden. Er könnte für die Allgemeinheit durch erfolgreiche Klagen aber noch teurer werden.