Analyse: Nobelpreis für schwierige Mission
Oslo (dpa) - Allen Rufen nach einem Friedensnobelpreis für die 16-jährige Malala aus Pakistan zum Trotz: Die Jury hat anders gewählt - und zwar hochaktuell. Der Preis für die Giftgasvernichter weltweit verleiht dem Kampf gegen Chemiewaffen Nachdruck.
Vielleicht haben die Chemiewaffenkontrolleure, die zurzeit in Syrien unter Lebensgefahr Giftgaslager aufsuchen, den aufziehenden internationalen Rückenwind gespürt. Gerade haben sie angekündigt, zusätzliche Experten loszuschicken, um den Einsatz zu verstärken. Da tritt in Oslo der Chef der Nobeljury vor die Presse und verkündet: Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) erhält den Friedensnobelpreis - „für ihren umfassenden Einsatz für die Vernichtung von Chemiewaffen“.
Es ist ein großes politisches Signal, das von Norwegen aus in die Welt geht. Und dieses soll vor allem den Staaten Druck machen, die noch nicht Teil der 189 Mitglieder starken Organisation sind, deren Aufgabe es ist, die Chemiewaffenkonvention von 1997 umzusetzen und das weltweite Arsenal zu zerstören.
Doch der Nobelpreis ist nicht nur Mahnung. Er schraubt auch die Erwartungen an die OPCW in die Höhe. Von der Auszeichnung erhoffen sich internationale Akteure einen mächtigen Impuls für die Aufgabe der Organisation. „Wir sind uns des riesigen Vertrauens bewusst, das die internationale Gemeinschaft in uns gesetzt hat“, sagte der OPCW-Generaldirektor Ahmet Üzümcu nach der Zuerkennung des Nobelpreises mit zittrig-aufgeregter Stimme.
Während der Syrien-Konflikt von Tag zu Tag härter wird, die politischen Bemühungen um Frieden kaum Fortschritte machen, kommen die Giftgas-Kontrolleure mit ihrer Arbeit gut voran. OPCW-Chef Üzümcü ist zuversichtlich, dass die Chemiewaffen-Vorräte des Assad-Regimes bis Mitte 2014 unschädlich gemacht sind.
Nach dem Friedensnobelpreis für die Europäische Union 2012 hatten nur wenige geglaubt, dass das Nobelkomitee schon wieder eine Organisation ehren würde. Doch hinter dem Preis stehen Lebensretter der syrischen Zivilbevölkerung, die selbst ihr Leben in dem umkämpften Land riskieren - und das bis jetzt „fernab vom Licht der internationalen Öffentlichkeit“, wie OPCW-Chef Üzümcü sagt.
Erst seit bei einem Giftgasangriff nahe Damaskus im August mehr als 1400 Menschen starben, kamen die Chemiewaffenexperten zum Zuge. „Syrien hat gezeigt, wie wichtig die OPCW ist“, sagt der Chef des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, Tilman Brück. Auch Üzümcü rückt den Blick auf seine Leute, die „sehr mutige Anstrengungen unternehmen, um ihre Aufgabe zu erfüllen“.
Der Organisation sei es aber auch zu verdanken, dass der Deal zwischen Amerikanern und Russen über die Vernichtung der syrischen Giftgasvorräte überhaupt zustande gekommen sei, meint Brück - „dass die OPCW Gewehr bei Fuß stand, um ein Eingreifen auch praktisch zu ermöglichen. Es reicht nicht, wenn die großen Mächte sich auf die Prinzipien einigen“.
Auch wenn sich viele einen Nobelpreis für die 16 Jahre alte Malala gewünscht hätten, die in ihrer Heimat Pakistan für das Recht von Frauen und Mädchen auf Bildung kämpft - die Auszeichnung für die Chemiewaffenkontrolleure ist kaum umstritten. Das war in der jüngsten Nobelvergangenheit nicht immer der Fall.
In Russland stößt die Wahl allerdings bitter auf. Der Preis sei „zu einem Vorschuss verkommen“, schreibt der einflussreiche Außenpolitiker Alexej Puschkow bei Twitter - mit einem deutlichen Seitenhieb auf einen anderen Nobelpreisträger, den US-Präsidenten Barack Obama.
Extrem mühsam bleibt die Arbeit der Chemiewaffen-Vernichter auf jeden Fall - und ein Ende ihrer Mission ist noch lange nicht in Sicht. „Die größte Herausforderung ist, die verbleibenden Staaten zum Beitritt zu bewegen“, meint der Friedensforscher Brück. Beispiel Nordkorea. Die Chancen dafür in naher Zukunft? „Sehr gering.“