Analyse: Operation Kriegsende - und Wiederwahl

Washington (dpa) - Es war keine brisante Geheimoperation wie die Tötung des Terrorführers Osama bin Laden vor einem Jahr. Aber an Heimlichtuerei stand ihr die Reise von US-Präsident Barack Obama nach Afghanistan am Dienstag - pünktlich zum Jahrestag seines größten sicherheitspolitischen Erfolgs - kaum etwas nach.

Fast jeder wähnte den Präsidenten daheim in Washington, normale Treffen mit seinem Vize Joe Biden und dem Pentagonchef Leon Panetta standen auf dem Programm. Dabei war er schon um Mitternacht abgeflogen - zu einem der symbolträchtigsten Auslandsbesuche seiner bisherigen Präsidentschaft.

Denn die Reise markierte in mehrfacher Hinsicht einen Meilenstein in dem seit einem Jahrzehnt währenden Anti-Terror-Krieg der USA. Nicht nur kehrte der US-Präsident erstmals seit dem Tod Bin Ladens nach Afghanistan zurück. Auch unterzeichnete er dort mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai ein strategisches Abkommen, das bereits für die Zeit nach Ende des internationalen Kampfeinsatzes 2014 plant. Mit seiner Unterschrift unter den Vertrag leitet Obama nach Irak quasi den Anfang vom Ende des zweiten Krieges ein, den er von seinem Vorgänger George W. Bush geerbt hatte.

Dass sich Obama zudem noch von Afghanistan aus zur allerbesten Sendezeit im Fernsehen live an das amerikanische Volk wenden wollte, zeigte die Bedeutung dieses dritten Kurztrips seit seinem Amtsantritt vor dreieinhalb Jahren. Solche Zehn-Minuten-Reden an die Nation sind selten und häufig historisch erinnerungswürdig - Obamas letzte liegt mehr als ein Jahr zurück. So ging es für ihn bei der Reise um wesentlich mehr, als nur um die Verkündung eines Erfolges: Vor den TV-Schirmen sitzen Millionen (kriegsmüde) Wähler, die in genau sechs Monaten bestimmen sollen, ob der 50-Jährige eine weitere Amtszeit verdient hat oder ob der republikanische Herausforderer Mitt Romney nicht doch das bessere Staatsoberhaupt und der bessere Oberste Befehlshaber ist. Alles, was Obama derzeit tut, ist also auch Wahlkampf, selbst wenn er seine Kampagne erst am Samstag offiziell startet.

Gerade in außenpolitischen Fragen steckt er deshalb auch sehr viel Kritik von der Opposition ein. Romney bezeichnet es als großen Fehler, öffentlich das Abzugsdatum aus Afghanistan zu nennen. Das würde die radikal-islamischen Taliban nur darin bestärken, den Krieg einfach auszusitzen, um danach die Macht zurückzuerobern. Er würde die Truppen erst dann nach Hause holen, wenn seine Generäle dafür grünes Licht gäben, meinte Romney häufiger. Ohnehin sei Obama zu weich, wenn es um die US-Sicherheit gehe.

Auch das Pentagon sieht bei allen Fortschritten „akute“ und langfristige Herausforderungen in Afghanistan, wie es in einem zufällig ebenfalls am Dienstag veröffentlichen Lagebericht an den Kongress hieß. Taliban-Rebellen und Al-Kaida-Terroristen würden weiterhin „ungestraft“ von Pakistan aus operieren. Zusätzlich habe es die afghanische Regierung mit weit verbreiteter Korruption zu tun, die ihre Effektivität sowie Legitimität einschränke und die „Botschaft“ der Rebellen verstärke.

Für Obama und seine Amtskollegen dürfte es daher Mitte Mai beim Nato-Gipfel in Chicago noch einiges zu besprechen geben, wie es in Afghanistan weitergehen soll.