Analyse: Papstbesuch in kirchlichen Krisenzeiten
Berlin (dpa) - Papst Benedikt XVI. kommt in sein Heimatland, und die Erwartungen sind riesig. Nach dem Missbrauchsskandal steckt die katholische Kirche in der tiefsten Krise ihrer jüngeren Geschichte, Gläubige laufen ihr in Scharen davon.
Viele von denen, die bleiben, fordern Reformen ein, wollen verkrustete Kirchenstrukturen auflösen und mehr Mitsprache. Es fehlt an Priestern, der Gemeindearbeit droht mancherorts der Kollaps.
Zu all dem soll der Pontifex die richtigen Worte finden, Impulse geben, den Weg weisen. Als ob das nicht schon Herkulesaufgabe genug wäre, soll Benedikt auch der Ökumene Schwung verleihen und im Bundestag sprechen - als erster Papst in einem deutschen Parlament. „Es soll darum gehen, dass Gott wieder in unser Blickfeld tritt, der so oft ganz abwesende Gott, dessen wir doch so sehr bedürfen“ umriss Benedikt im „Wort am Sonntag“ am letzten Wochenende das Ziel seiner Reise. Müde und abgeschlagen wirkte der Papst.
Besuchsstationen von Donnerstag bis Sonntag sind Berlin, Erfurt, das Eichsfeld und Freiburg. Nach pastoralen Aufenthalten 2005 und 2006 ist es sein erster offizieller Staatsbesuch in Deutschland - einer Republik, die auf christlichen Wurzeln und Werten fußt. Die sich aber gleichzeitig, gemessen an der Zahl der Christen und Gottesdienstbesucher, langsam vom Glauben zu entfernen scheint.
181 000 Christen kehrten der katholischen Kirche im Vorjahr den Rücken, erstmals seit Jahrzehnten mehr, als getauft wurden. Nur jeder achte der 24,6 Millionen Katholiken lässt sich noch beim Gottesdienst blicken. Vor diesem Hintergrund hofft der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, dass das Papst der Kirche neue Kraft, den Gläubigen Stärke und Orientierung gibt.
Eine Ursache für die Krise ist der Skandal um jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch von Kindern in kirchlichen und anderen Einrichtungen. Er erschütterte insbesondere die katholische Kirche 2010 in ihren Grundfesten, die Aufarbeitung wird noch Jahre dauern. Eine Begegnung des Papstes mit Betroffenen als symbolische Geste steht nicht auf dem offiziellem Programm, gilt aber - in Anlehnung an Besuche in anderen Ländern - als wahrscheinlich.
Ob eine andere Begegnung über Symbolik hinausgeht, bleibt abzuwarten. In Erfurt will Benedikt mit Spitzenvertretern der evangelischen Kirche über die Ökumene sprechen, die Zusammenarbeit und Einheit aller nach Konfessionen getrennten Christen. Ein gemeinsames Abendmahl wünschen sich viele, die Protestanten pochen auf formelle Anerkennung ihrer Kirche durch den Vatikan.
Und da ist auch noch Reformator Martin Luther (1483-1546), dessen Reformversuch einst zur Kirchenspaltung führte. Mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 ringt der katholische Klerus um eine Sprachregelung. Viele sind deshalb gespannt auf die Worte des Papstes im Erfurter Augustinerkloster - dem Ort, an dem Luther noch als katholischer Mönch wirkte. Doch Benedikt dämpfte bereits all zu große Erwartungen: „Wir erwarten keine Sensationen.“
In Freiburg äußert sich Benedikt voraussichtlich zum Dialog, den die Bischöfe als Reaktion auf den Missbrauchsskandal und ein Reform-Memorandum führender Theologen in Gang setzten. Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester, Frauenordination, neue Ansätze zur Gestaltung der Gottesdienste, mehr kirchliche Wertschätzung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Geschiedene: Die Liste der Forderungen ist lang.
Ungewöhnlich, dass sich kurz vor der Visite auch Bundespräsident Christian Wulff dafür stark machte, dass sich die Kirche im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Geschiedenen und Wiederverheirateten bewegt. „Die Millionen Menschen, die in konfessionsverschiedenen Ehen leben, und die Millionen wiederverheirateten Katholiken, aber auch viele andere Gruppen erwarten ... befreiende Botschaften“, sagte Wulff - selbst Katholik, geschieden und erneut verheiratet - der Wochenzeitung „Die Zeit“ und der katholischen Nachrichtenagentur KNA.
Auch Zollitsch, der sich kürzlich selbst für Verbesserungen für wiederverheiratete Geschiedene eingesetzt hatte, erwartet zu etlichen Themen positive Signale des Papstes. Aber: „Es wird nicht alles anders sein in Deutschland, wenn er wieder abgereist ist.“ Druck macht hingegen die kritische Laienbewegung „Wir sind Kirche“. Der Papst müsse endlich zur Kenntnis nehmen, dass die meisten Katholiken Reformanliegen unterstützten, fordert Sprecher Christian Weisner.
Während sich der Papst in Freiburg an die Jugend wenden und im thüringischen Eichsfeld die ostdeutschen Katholiken würdigen will, bildet Berlin den Rahmen für den politischen Teil seiner Visite. Hier trifft er die Kanzlerin und bekennende Protestantin Angela Merkel (CDU) und spricht im Bundestag. Ein Teil der Opposition - etwa 100 der 620 Abgeordneten - wollen der Rede fernbleiben, weil sie das Trennungsgebot von Staat und Kirche missachtet sehen.
Auch anderswo in der Multi-Kulti-Hauptstadt, in der die Katholiken eine Minderheit stellen, ist der Pontifex nicht willkommen. Initiativen planen eine Demonstration und andere Aktionen gegen die „menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik“ des Papstes. „Der Protest darf auf keinen Fall den Chaoten überlassen werden“, mahnt Zollitsch. Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. wurde 1996 auf der Fahrt im Papamobil durch Berlin mit Farbeiern beworfen.
Die Kirche setzt Protestlern das Motto des Papstbesuchs entgegen: „Wo Gott ist, da ist Zukunft“. Um die 260 000 Menschen haben sich zu den großen Gottesdiensten wie im Berliner Olympiastadion angemeldet. Schöne Bilder, die die katholische Kirche dringend braucht und für die sie 25 bis 30 Millionen Euro ausgibt. Hinzu kommen viele Staats-Millionen etwa für die Polizei - denn beim Papstbesuch gilt die höchste Sicherheitsstufe.