Analyse: Risiko für „weiche Ziele“
Karlsruhe (dpa) - Die schnelle Festnahme der Al-Kaida-Verdächtigen aus Nordrhein-Westfalen hat eine Kehrseite: Die weiteren Ermittlungen werden schwieriger, das Netzwerk ist nicht vollständig aufgedeckt.
Man habe sich in einer „Dilemmasituation“ befunden, sagt der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke. Einerseits war das Netzwerk um die drei Terrorverdächtigen „noch nicht zu 100 Prozent aufgeklärt“. Andererseits waren die drei offenbar so schon weit in ihren Anschlagsvorbereitungen und Blutbad-Fantasien fortgeschritten, dass die Ermittler von einem erhöhtem Risiko für „weiche Ziele“ ausgehen mussten - also für Menschen.
Mit einer Splitterbombe wollten die Männer aus Nordrhein-Westfalen nach dem Stand der Ermittlungen möglichst viele Menschen töten oder verletzen. Veranstaltungen im Großraum Düsseldorf hätten ein Ziel sein können, vielleicht auch ein Bus oder eine Bushaltestelle. Zuletzt bastelten sie an einem Zündmechanismus. „Bombe ist nicht so schwer, aber Zünder ist mehr Gefahr“, haben sie den Abhörprotokollen zufolge gesagt, aus denen Ziercke am Freitag in Karlsruhe vorlas. „Gibts einen Feuerkopf und dann ist die große Kraft.“
Zusätzlich aufgeputscht wurden die drei Religionskrieger durch die Nachricht aus Marrakesch, wo am Donnerstag bei einem Terroranschlag in einem Café mindestens 14 Menschen getötet wurden. „Marrakesch hätte stimulierendes Ereignis sein können“, sagte Ziercke. Auch deshalb entschlossen sich die Fahnder zu einer schnellen Festnahme - zu dem Preis, dass zum einen die Ermittlungen gegen weitere Verdächtige noch nicht abgeschlossen sind, zum anderen die Ermittler offenbar noch nicht sehr viele gerichtsfeste Beweise gegen die drei Festgenommenen in den Händen halten. „Die Beweismittelerlangung für die Strafverfolgung kann erschwert werden“, so Ziercke.
Seit einem halben Jahr steht die Gruppe um den 29-jährigen Marokkaner Abdeladim El-K. unter Beobachtung der Ermittler. Der ehemalige Maschinenbaustudent, der seit 2001 in Deutschland lebte, soll Anfang vergangenen Jahres in ein Ausbildungslager von Al-Kaida im Grenzgebiet von Pakistan und Afghanistan gereist sein. Dort habe er von einem hochrangigen Mitglied des Terrornetzwerks den Auftrag erhalten, in Deutschland einen Sprengstoffanschlag zu verüben.
Die Ermittlungen gegen die Männer standen im Zusammenhang mit verschiedenen Hinweisen, die im Herbst vergangenen Jahres zu einer „Terrorwarnung“ des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière führten. Dabei arbeiteten die Ermittler unter anderem mit amerikanischen und marokkanischen Geheimdiensten und Sicherheitskräften zusammen.
Die Festnahme könnte dazu führen, so Ziercke, dass „die Aufklärung des Netzwerks erschwert sein könnte“. Eine Person, die wohl an den Vorbereitungen beteiligt war, habe noch nicht identifiziert werden können. Insgesamt geht Ziercke von sieben bis acht Beteiligten aus. „Aber es können auch mehr sein.“ Er könne noch keine Entwarnung geben, sagte Ziercke. „Wir müssen in Deutschland weiterhin mit Anschlägen islamistischer Terroristen rechnen.“
Ziercke verwies auf Schätzungen, wonach sich in Deutschland etwa 1200 Personen „aus dem gesamten Spektrum des islamischen Terrorismus“ aufhielten. Etwa 130 davon seien als sogenannte „Gefährder“ eingestuft - Leute, die bereit sind, sich auch selbst in Anschlagspläne einbinden zu lassen. Das BKA wisse von 80 Islamisten, die zur Ausbildung in Terrorcamps waren. „An der Zahl sehen Sie, dass wir es wirklich mit einem Problem zu tun haben.“