Terrorexperte: Anschlaggefahr ist weiter sehr hoch
Berlin (dpa) - Nach Einschätzung des Terrorexperten Guido Steinberg ist die Gefahr islamistischer Anschläge in Deutschland nach wie vor sehr hoch. „Wir müssen, glaube ich, jeder Zeit mit einem Anschlag rechnen“, sagte der Islamwissenschaftler, der bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin arbeitet.
Wie hoch ist die Terrorgefahr in Deutschland?
Guido Steinberg: „Die Terrorgefahr ist sehr, sehr hoch und ganz offensichtlich auch konkret.“
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Guido Steinberg: „Es hat ganz konkrete Drohungen gegeben - immer wieder. Und eben auch ernstzunehmende Warnungen unserer Sicherheitsbehörden. Wenn man das im Zeitablauf der letzten Jahre sieht, dann sind das zwei Dinge, die das bestimmen: Wir haben zum einen terroristische Organisationen, die hier gerne Anschläge verüben möchten wie Al-Kaida, die Islamische Dschihad-Union und auch andere, die das ganz deutlich gemacht haben. Und zweitens haben wir eine zumindest bis letztes Jahr wachsende Zahl von Deutschen, die sich diesen Organisationen in Pakistan angeschlossen haben. Deutsche heißt aber hier soziologische Deutsche, also Leute, die hier geboren sind oder lange gelebt haben, unabhängig davon, was für einen Pass sie haben. Diese beiden Faktoren zusammen bestimmen die Bedrohungslage seit 2007. Wir müssen jederzeit mit einem Anschlag rechnen.“
War es dann richtig, die Sicherheitsmaßnahmen zurückzufahren?
Guido Steinberg: „Die Sicherheitsmaßnahmen sind ja im November erhöht worden aufgrund verschiedener Warnhinweise, die zusammengenommen die Sicherheitsbehörden dazu bewogen haben, zu sagen, so jetzt haben wir konkrete Hinweise. Der Wahrheitsgehalt dieser Hinweise war schon im November umstritten, einige haben sich erhärtet, einige haben sich nicht erhärtet. Da man nicht weiß, wo so ein Anschlag herkommt, ist es sowieso fraglich, inwieweit es Sinn macht, die eine Einrichtung zu schützen, andere aber nicht.“
Können Sie das näher erklären?
Guido Steinberg: „Wenn die Polizei an großen Bahnhöfen präsent ist, dann wählen die Attentäter eine U-Bahnstation, die nicht so gut geschützt ist. Insofern sind die sichtbaren Sicherheitsmaßnahmen auch in gewisser Weise symbolisch. Das, was unter der Oberfläche weiter läuft, die Fahndung nach Einzelpersonen, die Überwachung der Flughäfen, die Überwachung verdächtiger Personen und Ähnliches, ist ohnehin wichtiger als ob da nun ein Polizist mit Maschinenpistole steht oder nicht.“
Überrascht es Sie, dass es nun drei Festnahmen gibt?
Guido Steinberg: „Nein, wenn Sie die Szene und die Aktivitäten genau beobachten, werden Sie feststellen, dass es seit Jahren regelmäßig Verhaftungen gibt. Es laufen im Moment mehrere Verfahren in Deutschland gegen Mitglieder dschihadistischer Organisationen und ihre Unterstützer. Einige Verdächtige sind auch in der Türkei, in Pakistan oder Afghanistan festgenommen worden. Festnahmen von Terrorverdächtigen sind mittlerweile ein ganz normaler Vorgang.“
Das heißt, an der Gesamtsituation ändert sich gar nichts?
Guido Steinberg: „Ja, gar nichts.“
Was könnte jetzt aber anders sein?
Guido Steinberg: „Vor allem gab es in den letzten Jahren Festnahmen von Terrorunterstützern. Wenn es sich aber erhärtet, dass die drei jetzt Festgenommenen dabei waren, einen Sprengsatz zu bauen, ist das natürlich etwas anderes. Es hat bisher in Deutschland nur wenige Anschlagversuche und erst einen erfolgreichen Anschlag gegeben. Die beiden wichtigsten waren der der Kofferbomber im Juli 2006, der nur aufgrund eines Konstruktionsfehlers gescheitert ist. Und dann gab es den Plan der Sauerland-Attentäter. Der aktuelle Fall wäre dann einer in einer Reihe von Anschlagversuchen.“
Gibt es in Nordrhein-Westfalen einen Schwerpunkt der islamistischen Szene?
Guido Steinberg: „Es gibt Zentren dschihadistischer Aktivitäten in Deutschland. Das ist einmal der südwestdeutsche Raum mit Freiburg, Ulm und Neu-Ulm. Dann gibt es den Raum Frankfurt und Umgebung und das Saarland mit Neunkirchen und Saarbrücken, dann Hamburg, Berlin und das Rheinland mit Bonn, Köln und Düsseldorf - hierzu gehört auch das Ruhrgebiet. In verschiedenen Gebieten dominieren verschiedene Gruppierungen. Nordrhein-Westfalen und Hamburg sind die Orte, in denen die Nordafrikaner stark vertreten sind.