Analyse: Röttgen in der Klemme

Düsseldorf/Berlin (dpa) - Norbert Röttgen hat gerne alles unter Kontrolle. Doch jetzt sind ihm in einer Woche gleich zwei Dinge aus dem Ruder gelaufen.

So dachte er, für einen parteiübergreifenden Konsens zur Atommüll-Endlagersuche sei praktisch alles unter Dach und Fach - aber SPD und Grüne liefen Sturm gegen Pläne für ein der politischen Kontrolle weitgehend entzogenes Endlager-Bundesinstitut. Und dann verkalkulierte sich die FDP in Nordrhein-Westfalen bei der Abstimmung über den Landeshaushalt und läutete die Neuwahl ein.

Doch der Bundesumweltminister und nordrhein-westfälische CDU-Chef bewahrt selbst in solchen Situationen kühlen Kopf. So schaltet der CDU-Spitzenkandidat blitzschnell auf Wahlkampfmodus in NRW um und lässt noch vor der Auflösung des Düsseldorfer Landtags einen weißen Transporter mit einem Wahlplakat vorfahren: „Nordrhein-Westfalen hat die Wahl: Schuldenstaat oder Zukunft für unsere Kinder“.

„Doch, es erfreut mich“, sagt der 46 Jahre alte Vater dreier Kinder mit Blick auf die Neuwahl an Rhein und Ruhr. Aber kann der promovierte Jurist es zwei Monate lang durchhalten, keine Antwort auf die Frage zu geben, ob er auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf gehen würde? „Die CDU möchte stärkste Partei werden“, lautet Röttgens Credo. Alle anderen Fragen würden erst nach der Landtagswahl geklärt.

Auf die Frage, ob er sich damit die Tür nach Berlin offenhalte und ob das nicht negativ auf CDU-Wähler wirke, sagt Röttgen: „Nein, es gibt keine offenen Türen, sondern es gibt den Blick nach vorne auf ein klares Ziel - das heißt Ministerpräsident und Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen.“ Soll wohl bedeuten: Landet die NRW-CDU wieder in der Opposition, will er Bundesminister bleiben.

Auf jeden Fall dürfte er nun bis zur Wahl im Mai weniger Zeit in Berlin verbringen. Besonders beim Thema Endlager drängt aber die Zeit. Röttgens Wahlkampf könnte den geplanten Neustart der Suche womöglich scheitern lassen, fürchtet man im politischen Berlin.

Röttgen wehrt sich gegen den Vorwurf, der CDU-Landesvorsitz sei für ihn nur Machtvehikel, um eines Tages Kanzler zu werden. Nach jetzigem Stand hätte er in NRW nur eine Chance, wenn er die Grünen von einem Bündnis mit seiner CDU überzeugen könnte. Dann wäre er der Wegbereiter für neue Koalitionen im Bund - und in der Union endgültig ein Machtfaktor. Mehr als die 34,6 Prozent von Jürgen Rüttgers 2010 wären dabei hilfreich. Ansonsten würde er als geschwächter Minister nach Berlin zurückkehren - das Beispiel der in Berlin gescheiterten Grünen-Fraktionschefin Renate Künast lässt grüßen.

Dass er mit der Öko-Partei grundsätzlich kann, zeigten schon die Gespräche mit Grünen-Kollegen in der „Pizza-Connection“ zu Bonner Zeiten. Sein Drängen auf den raschen Atomausstieg, seine Kritik an einem Wachstum auf Pump begleitet von Umweltzerstörung - das sind Positionen, die die Grünen teilen. Aber: Es gab zuletzt wieder eine Entfremdung, etwa bei der Kürzung der Solarförderung.

Bisher deutet nichts darauf hin, dass es die NRW-Grünen nach der weitgehend gut funktionierenden rot-grünen Minderheitsregierung mit dem Führungsduo Hannelore Kraft/Sylvia Löhrmann in Röttgens Arme treiben könnte. In einer ARD-Umfrage jedenfalls liegt die CDU mit 34 Prozent vier Punkte hinter der SPD, und im persönlichen Vergleich hängt Kraft (57 Prozent) Röttgen (26 Prozent) ab. Um den Grünen seine Partei als Alternative zur SPD schmackhaft zu machen, müsste er mit der CDU am Ende deutlich vor den Sozialdemokraten liegen.

Ein SPD-Spitzenmann sagt: „Röttgen hat sich mit NRW total verzockt.“ Der Minister habe nicht damit gerechnet, in solch einer Lage antreten zu müssen. Bisher gilt er vielen Bürgern - anders als die bodenständige Hannelore Kraft - zu verkopft. Wie sehr er fremdeln kann, wenn er auf die Normalität jenseits des politischen Betriebs trifft, zeigte Röttgen beim Besuch des maroden Salzbergwerks Asse, wo 126 000 Fässer mit Atommüll lagern. Ein Bergmann begrüßte ihn im Schacht mit dem volkstümlich-traditionellen „Glück auf“ - Röttgen antwortete höflich „Guten Tag“.

Doch Röttgen hat schon oft in scheinbar aussichtslosen Situationen einen Weg gefunden, das Blatt zu wenden. So weilte er im Urlaub, als hinter seinem Rücken die CDU in NRW schon quasi ausgemacht hatte, dass Armin Laschet neuer Landeschef werden sollte. Röttgen setzte einen Mitgliederentscheid durch. Bei den folgenden Diskussionsrunden mit der Basis überzeugte der eloquente Redner und gewann den Vorsitz.

Schon in der Schule soll er gewitzelt haben, er werde mal Kanzler. Innerparteilich gilt der freundliche, etwas unnahbare Sohn eines Postbeamten aus Rheinbach bei Bonn nicht als jedermanns Liebling. Für ein Röttgen-Porträt sagte ein CDU-Mann dem Magazin „Cicero“: „Er würde jedes Schnitzel mit uns teilen, aber niemals ein politisches Amt.“