Analyse: Snowden wird für Moskau zum Ärgernis
Moskau (dpa) - Als früherer Geheimdienstchef ist Russlands Präsident Putin nicht zimperlich mit Verrätern. Der Fall Snowden spitzt sich nun auf die Frage zu: Riskiert der Kremlchef wegen eines US-Bürgers in Moskau einen „Kalten Krieg“ mit Washington?
Der Spionagethriller wächst sich zum internationalen Ärgernis aus.
Putin lüftete zwar das Rätsel um den Verbleib des 30-Jährigen: Noch befindet er sich im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo. Er machte aber auch klar, dass es für alle besser sei, wenn Snowden diesen so schnell wie möglich verlasse - am besten: ganz raus aus Russland.
Dem Ex-Geheimdienstchef Putin ist die Brisanz des Falls bewusst. Die Konsequenzen, die die USA androhen, sollte Snowden entwischen, dürften auch ihn nicht völlig kalt lassen. Immerhin ist die marode Wirtschaft Russlands dringend auf die Milliardeninvestitionen des Westens angewiesen. Es drohe eine ernste Abkühlung im Verhältnis, das Einfrieren von jeder Menge gemeinsamer Projekte bis hin zu Sanktionen, betonen Moskaus Kommentatoren. Die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ sieht bereits einen „Kalten Krieg“ heraufziehen.
Der Fall Snowden zeige - genauso wie Russlands Hilfe für Syriens Machthaber Baschar al-Assad - zwar einerseits einen „weniger passiven und mehr kämpferischen außenpolitischen Kurs“ im Kreml, meint der Politologe Dmitri Trenin vom Carnegie Center in Moskau. „Nachdem Moskau Snowden nach Russland gebracht hat, denkt es jetzt lieber zweimal nach. Putins Witz zeigt, dass er nun nach einem Ausweg aus dem Schlamassel sucht“, twittert Trenin.
Gemeint ist Putins Aussage, dass im Fall Snowden für ihn nichts zu holen sei. „Das ist wie die Schur eines Ferkels: viel Quieken, aber wenig Wolle“, ulkte Putin. Der Amerikaner sei zwar ein freier Mann. Gleichwohl sollten sich um Snowden, „der sich für einen Menschenrechtler hält“, nun gerne FBI-Chef Robert Mueller und Alexander Bortnikow, der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, kümmern, beschied Putin.
In der Vergangenheit haben die Russen und Amerikaner immer wieder gezeigt, dass sie sich bei Agentenkrimis einigen können. So im spektakulären Fall von 2010, als in einem großen Deal zehn russische Agenten - darunter die als „Agentin 90-60-90“ bekanntgewordene Anna Chapman - in Wien gegen vier mutmaßliche US-Spione ausgetauscht wurden. Die USA halten wohl auch deshalb ein weiteres Entgegenkommen der Russen für angebracht.
Die von Putin geforderten Gespräche zwischen FBI und FSB laufen bereits, wie die Zeitung „Kommersant“ berichtet. Zwar erwähnt das Blatt nicht, was die Russen diesmal für eine prinzipiell denkbare Auslieferung Snowdens an die USA erwarten könnten. Zuletzt forderte aber auch die im Parlament vertretene ultranationalistische Liberaldemokratische Partei Russlands lautstark, Snowden gegen den in den USA inhaftierten russischen Waffenbaron Viktor Bout einzutauschen.
Die Überstellung des als „Händler des Todes“ bekanntgewordenen Bout hat auch Außenminister Sergej Lawrow wiederholt verlangt. Dass sich Russland international als Fluchthelfer in der Kritik sieht, hat nicht nur Lawrow, sondern auch Putin zuletzt geärgert. Snowden war mit der staatlichen russischen Fluglinie Aeroflot von Hongkong nach Moskau geflogen - und lebt seit Tagen in dem Terminal, den russische Sicherheitsbehörden unter Kontrolle haben.
Und auch Snowden, dessen Pass von den US-Behörden annulliert wurde, dürfte nun dämmern, dass er längst zwischen die Mühlen der Weltpolitik geraten ist. Als ein russischer Geheimdienstler einst zu den USA überlief und Putins schöne Agentin Chapman enttarnte, sagte der frühere KGB-Offizier auch wütend, was er von Verrätern halte: Sie würden in der Gosse oder im Suff enden.