Analyse: Testballon oder Patzer?
Berlin (dpa) - De Maizière gilt als loyaler Parteisoldat, der seiner Kanzlerin eng verbunden ist. Doch in der Flüchtlingskrise sieht es gelegentlich so aus, als stelle der CDU-Minister seine eigene Überzeugung über den politischen Willen von Angela Merkel.
Das bleibt nicht ohne Folgen.
Vor einem Monat ernannte Merkel Kanzleramtschef Peter Altmaier zum Flüchtlingskoordinator. Jetzt muss de Maizière eine gerade erst erteilte Anweisung an das Bundesamt für Migration (BAMF) zurücknehmen, wonach Syrer im Regelfall nur noch eine Aufenthaltsbewilligung für ein Jahr erhalten hätten.
Nicht nur von der Opposition ist der Innenminister dafür als Unmensch beschimpft worden. Auch aus den Reihen des Koalitionspartners hagelt es Kritik.
Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft „Migration und Vielfalt“ in der SPD, Aziz Bozkurt, unterstellt de Maizière „bösen Willen“. Die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken, Ulla Jelpke sagt, er sei wohl „von allen guten Geistern verlassen“. Der Innenminister tanze der Kanzlerin und dem Koalitionspartner auf der Nase herum. Ein Parteikollege des Innenministers beschreibt die Situation anders. Er sagt: „De Maizière ist innerlich zerrissen zwischen seiner Loyalität zu Merkel und seiner eigenen Meinung in der Flüchtlingsfrage.“
Doch was ist eigentlich geschehen? Anfang der Woche - also schon vor dem jüngsten Asyl-Kompromiss der Koalition - ergeht ein mündlicher Erlass des Bundesinnenministeriums an das Flüchtlingsamt in Nürnberg. Das BAMF wird aufgefordert, syrische Asylbewerber wieder intensiver zu ihren Asylgründen zu befragen. Sie sollen nicht automatisch als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention behandelt werden, sondern als Menschen, die hierzulande „subsidiären Schutz“ genießen. Zu diesem Zeitpunkt bedeutet das nur, dass die Syrer künftig nur noch eine Aufenthaltsbewilligung für ein Jahr erhalten sollten. Der Familiennachzug wäre für sie weiterhin möglich. Die Öffentlichkeit erfährt erst einmal nichts von dem Erlass.
Dann kommen am Donnerstag die Parteivorsitzenden der großen Koalition zusammen, um weitere Maßnahmen in Sachen Asyl zu beschließen. Erst beraten Bundeskanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Sie verkünden, dass Menschen, denen - zum Beispiel weil sie aus einem Kriegsgebiet kommen - „subsidiärer Schutz“ gewährt wird, zwei Jahre lang keine Angehörigen mehr nachholen dürfen sollen.
Das wird zwar von der Opposition und von Flüchtlingshilfsgruppen kritisiert. Die Aufregung hält sich aber noch in Grenzen, weil davon laut Statistik nur wenige Menschen betroffen wären. Im vergangenen Oktober war etwa die Hälfte aller Asylbewerber, über deren Anträge das BAMF entschieden hat, als Flüchtling anerkannt worden. Subsidiären Schutz erhielten dagegen nur 181 Menschen. Das waren gerade einmal 0,6 Prozent aller bearbeiteten Anträge.
Am Donnerstagnachmittag treffen sich Regierungsmitglieder mit den Ministerpräsidenten im Kanzleramt in großer Runde. Ein Teilnehmer sagt hinterher, der Bundesinnenminister habe die Ministerpräsidenten dort über den mündlichen Erlass vom Wochenbeginn informiert.
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dementiert das am Samstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. In einer Presseerklärung von Weil heißt es: „So haben wir nicht gewettet.“ Den Ministerpräsidenten sei vermittelt worden, die Aussetzung des Familiennachzugs beträfe nur rund 1700 Menschen und deren Angehörige und nicht Hunderttausende Syrer. Thomas de Maizière sei ein „Wiederholungstäter“, der immer wieder ohne Absprache Verschärfungen in der Asylpraxis vornehme. Fakt ist: Auch nach dem Treffen mit den Länderchefs dringt über den Syrer-Erlass erst einmal nichts an die Öffentlichkeit.
Der Erste, der darüber vor einem Mikrofon spricht, ist de Maizière selbst. Er sagt dem Deutschlandfunk am Freitag auf dem Rückflug von Tirana, man werde den Syrern künftig sagen: „Ihr bekommt Schutz, aber den sogenannten subsidiären Schutz“. Nach den neuen, am Donnerstag beschlossenen Regeln bedeutet das: ohne Familiennachzug.
Erst jetzt bricht das große Protest-Gewitter über de Maizière herein. Und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt fragt, ob dies ein Patzer oder nicht eine geheime Agenda der großen Koalition sei.
Zuspruch erhält der Innenminister dagegen von einigen Unionspolitikern. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster, ein ehemaliger Bundespolizist macht deutlich, dass er die Einschätzung von de Maizière zum Status der Syrer nachvollziehen könne, „weil sie fachlich und juristisch richtig ist, und weil ich es schon länger für bedenklich halte, dass wir die Rechtslage inzwischen allzu oft durch politische Haltung ersetzen“.