Analyse: Titelaussicht sorgt für Taktikwandel

Rio de Janeiro (dpa) - Die Fußball-Imperien Brasilien, Deutschland, Argentinien und Niederlande haben im heißen Turnierendspurt wieder das Kommando übernommen und machen bei der WM am Zuckerhut den Weltmeister unter sich aus.

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Die wackeren Außenseiter aus Belgien, Kolumbien und Costa Rica habe ihren Spektakel-Beitrag geleistet - doch für den Umsturz in der Hierarchie reichte es nicht.

Erstmals in der WM-Geschichte kommt es in den Halbfinals mit den Duellen zwischen Brasilien und Deutschland sowie Argentinien gegen die Niederlande gleich zur doppelten Neuauflage vergangener Endspiele um den begehrten Goldpokal - und damit auch zum Showdown der führenden Fußball-Kontinente Europa und Südamerika.

Pünktlich zum Viertelfinale hat es beim Turnier in Brasilien einen Taktikwandel gegeben, den die bewährten Kräfte mit Effizienz, Disziplin und dem wie immer bei Weltmeisterschaften notwendigen Glück meisterten. Eine Botschaft wurde in der zweiten K.o.-Runde deutlich. Der Harakiri-Fußball der Gruppenphase ist spätestens jetzt passé.

Kein Spiel wurde mit mehr als einem Tor Vorsprung gewonnen. Vier der fünf Tore wurden nach einer Standardsituation erzielt und 60 Prozent der Treffer erzielten nicht die hochgejubelten Stürmerstars, sondern Innenverteidiger aus Deutschland und Brasilien.

„Wir sehen einen Fußball, der mich mehr an Basketball erinnert“, hatte der frühere Liverpool-Coach Gérard Houllier als oberster Taktik-Beobachter der FIFA noch vor den Viertelfinals gesagt, jedoch auch schon prognostiziert, dass sich dies ändern könnte, „je näher wir dem Finale kommen und Mannschaften die Titelchance spüren.“

Erste Konsequenz der Entschleunigung ist ein klares Absinken der Torquote auf 2,65 Treffer pro Spiel. Gelingen in den letzten vier Spielen nicht noch mindestens 13 Tore, wird es nichts mit der besten Trefferbilanz seit Aufstockung der WM-Teilnehmerzahl auf 32 Teams 1998 (2,71 Tore). Die in der turbulenten Gruppenphase anvisierte Marke von 1970 (2,97) ist schon gänzlich unrealistisch.

Nach der schlimmen Verletzung von Brasiliens Neymar kochte plötzlich die Schiedsrichterdebatte wieder hoch - trotz zuletzt deutlich besserer Leistungen der Unparteiischen. Der prominente Name Neymar und das nicht mit Gelb geahndete Foul von Kolumbiens Juan Zúniga ließen Stimmen laut werden, wonach die Referees zu wenig durchgriffen.

Die wohl auch durch die Emotionen der Neymar-Diagnose Wirbelbruch ausgelöste Diskussion dreht sich vor allem um die Statistik. Vor den letzten vier WM-Spielen wurden in Brasilien bisher 168 Gelbe und sieben Rote Karten verteilt. Zum Vergleich: Bei der WM 2010 in Südfrika waren es insgesamt 245 Verwarnungen und neun Rote Karten.

Das Wehklagen der Brasilianer über die harte Gangart der Gegner wirkt allerdings auch geheuchelt. Mit 96 Fouls begingen die Profis der Seleçao laut FIFA-Statistik mehr Fouls als jedes andere Team und ein Foul mehr als sie selbst hinnehmen mussten. Entscheidend für den Titel sind diese Zahlen nicht.

Europas Aussichten auf den ersten WM-Sieg in Südamerika ruhen auf Deutschland und den Niederlanden. Doch die Bilanz der Europäer in WM-K.o.-Spielen in Südamerika gegen Südamerikaner ist verheerend. 0:9 steht es in dieser Kategorie seit 1930. Dazu zählt auch das 1:3 nach Verlängerung der Niederlande im Finale 1978 in Argentinien.

Insgesamt ist die deutsche K.o.-Bilanz mit 7:2-Siegen gegen Brasilien, Argentinien und Co. aber die beste in Europa. Eine der beiden Niederlagen gab es 2002 im Finale von Yokohama gegen Brasilien (0:2). Die Niederlande entpuppten sich erst 2010 zum Südamerika-Schreck mit Erfolgen gegen Brasilien und Uruguay. Insgesamt steht es für Oranje 3:3.