Analyse: Unternehmen fürchten die Russland-Krise
München (dpa) - Die Krise zwischen dem Westen und Russland macht der deutschen Wirtschaft zunehmend Angst. Zwar halten sich viele Firmen mit Aussagen zur Lage auf der Krim und in der Ukraine zurück, doch die Stimmung in den Chefetagen ist frostiger geworden.
Erstmals seit Oktober hat im März der wichtige Ifo-Index etwas nachgegeben. Die Umfrage der Münchner Wirtschaftsforscher zeigt vor allem: Die Unsicherheit der Unternehmenslenker wächst - und ihre Sorge gilt vor allem der Zukunft. Eine neue Eiszeit wie zu Zeiten des Kalten Krieges ist ein Schreckensszenario - auch für die Wirtschaft. Zumal die Lage in wichtigen Wachstumsmärkten bereits kompliziert ist.
Aktuell geht es den Unternehmen weiter blendend. Ihr Lage bewerten die Firmen sogar besser als im Februar. „Die Geschäfte laufen weiterhin gut“, sagt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe am Dienstag. Kurzfristig erwarte er keine direkten Folgen der Krim-Krise für deutsche Firmen. Die Erwartungen der Manager aber trübten sich ein.
Noch offen ist, welche Folgen der Konflikt auf andere wichtige Regionen haben könnte oder ob es scharfe Wirtschaftssanktionen geben wird. Doch Unsicherheit ist ein Gift, das langsam wirkt. Schon jetzt stellen Firmen Investitionen in Russland zurück. Kapital werde aus dem Land geholt, heißt es beim Industrie- und Handelskammertag.
Dabei ist Russland für viele Firmen noch kein so großer Markt. Doch das riesige, an Bodenschätzen reiche Land bietet enorme Wachstumschancen. Es ist das R in den wichtigen Boomregionen BRIC, zu denen noch Brasilien, China und Indien gehören. In diesen Ländern wollen die Firmen den langsam wohlhabender werdenden Menschen mehr Autos, Maschinen oder Medikamente verkaufen.
Auch deswegen halten sich die Unternehmen mit kritischen Äußerungen spürbar zurück - und lassen der Politik den Vortritt. Der Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckard Cordes, warnt immerhin vor Sanktionen gegen Russland, die Moskau dazu brächten, sich in Richtung China zu orientieren. Das Ifo Institut geht zwar davon aus, dass Sanktionen Russland selbst härter als die Europäer treffen würden, warnt aber auch, das Land via Handelspolitik auszugrenzen.
„Russland ist als Absatzmarkt für Deutschland deutlich wichtiger als für die übrigen EU-Mitglieder“, sagt Ifo-Experte Gabriel Felbermayr. Ein Großteil der Importe nach Deutschland bestehe aus Öl, Gas oder Steinkohle. Diese Energieeinfuhren seien für Deutschland wichtig, da erhebliche Teile der Wertschöpfung hierzulande davon abhängig seien. Die Folgen könnten weitreichend sein. Und es gibt noch mehr Probleme.
Die Verflechtungen der Weltwirtschaft sind enorm und die jüngsten Krisen haben gezeigt, wie rasch die Lage ins Rutschen kommen kann. Aus Russland etwas flüchten die Investoren regelrecht: Vizewirtschaftsminister Andrej Klepach erwartet einem Bericht der „Financial Times“ zufolge, dass im ersten Quartal bis zu 51 Milliarden Euro abgezogen wurden. Das wäre mehr als im ganzen vergangenen Jahr. Der Rubel ist seit längerem auf Talfahrt.
„Wir spüren bereits Belastungen durch den Wechselkurs des Rubels“, hatte Opel-Chef Karl-Thomas Neumann jüngst der Branchenzeitung „Automobilwoche“ gesagt. Solche Wechselkurseffekte bekommen auch andere Firmen zu spüren. Werden etwa Autos in einer im Vergleich zum Euro schwächeren Währung bezahlt, fallen die Einnahmen geringer aus. Ein Problem, das es längst nicht nur im Handel mit Russland gibt.
Ob BMW oder Audi, Siemens oder Linde - die meisten exportstarken Unternehmen bekommen das zu spüren. Auch die Währungen in vielen anderen Schwellenländern sind unter Druck. Gerade stufte die Ratingagentur Standard & Poor's Lateinamerikas größte Volkswirtschaft Brasilien herab. Die wachsenden Probleme dort oder etwa in der Türkei werden von der Krim-Krise derzeit ein wenig überdeckt, sind aber da. Auch das dürfte die Stimmung der deutschen Wirtschaft drücken.