Analyse: Vertrauen zerstört - Sippel muss gehen

Erfurt (dpa) - Er sollte Ruhe in Thüringens Verfassungsschutz bringen, nun wird er mit 55 Jahren in den Ruhestand geschickt: Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel muss wegen der Pannen bei der Verfolgung des aus Jena stammenden Neonazi-Trios seinen Hut nehmen.

„Der Verfassungsschutzpräsident hat nicht mehr das Vertrauen des Parlaments“, begründete Innenminister Jörg Geibert (CDU) am Dienstag in Erfurt die Entscheidung.

Vor dem Parlamentsgremium, das den Verfassungsschutz kontrollieren soll, durfte Sippel schon seit einiger Zeit nicht mehr erscheinen - eine skurrile Situation. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich auch die Diskussion um die lange unbekannte „Operation Rennsteig“, die Sippel auch in den Regierungsfraktionen CDU und SPD viel Kritik einbrachte.

Unter Führung des Bundesamtes für Verfassungsschutz ging es dabei von 1997 bis 2003 um Thüringer Rechtsextremisten. An der Operation war auch das Thüringer Amt beteiligt. Die Geheimdienstkontrolleure des Parlaments in Erfurt warfen Sippel fraktionsübergreifend vor, zu mauern. „Unser Amt hat uns nicht informiert“, schimpfte CDU-Innenpolitiker Wolfgang Fiedler.

Das Parlament versucht aufzuklären, wie in Thüringen eine Neonazibande entstehen, untertauchen und später mordend durch Deutschland ziehen konnte. Das Trio, das seinen Ursprung in Jena hatte, soll für zehn Morde verantwortlich sein.

Offene Rücktrittsforderungen an Sippel kamen von SPD-Fraktionschef Uwe Höhn. Sippels Rücktritt galt damit nur noch als Frage der Zeit. Nach der Entscheidung zeigte sich Höhn erleichtert: „Thomas Sippel ebnet damit den Weg für einen Neuanfang im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz.“

Noch am Nachmittag hatte sich Geibert allerdings an die Seite Sippels gestellt. Der Minister wolle keine „pauschale und an Stimmungen orientierte Entscheidung“ treffen, erklärte ein Regierungssprecher noch.

Der nüchtern auftretende Sippel, ehemaliger Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz, stand zwölf Jahre an der Spitze des Thüringer Geheimdienstes. Nach seinem Amtsantritt erreichte er, dass die in sich zerstrittene Behörde aus den Schlagzeilen kam, für die sein extrovertierter Vorgänger Helmut Roewer gesorgt hatte.

Übernommen hatte der Mann aus Fulda das Verfassungsschutzamt in Erfurt am 15. November 2000. Schon damals steckte es in einer schweren Krise. Roewer war vom damaligen Innenminister Christian Köckert (CDU) suspendiert worden, nachdem ein hochrangiger Thüringer Neonazi in Medien als bezahlter Informant des Amtes enttarnt wurde.

Die Thüringer Suchaktionen nach dem 1998 in Jena untergetauchten Neonazi-Trio fielen allerdings nur zum kleineren Teil in Sippels Thüringer Amtszeit. Im Februar 2001 hatte er dazu gesagt: „Die Bombenbauer von Jena sind nach wie vor spurlos verschwunden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sie in der Szene Nachfolger gefunden hätten.“

Kurz danach blieb in seinem Amt jedoch eine wichtige Information eines V-Manns unbeachtet, die nach Ansicht einer 2011 von der Thüringer Landesregierung eingesetzten Kommission einen Hinweis auf die mutmaßlichen Banküberfälle des Trios hätte geben können. Die Kommission kritisierte, dass das Amt seit Beginn der Suche 1998 Informationen nicht richtig erkannt und zu oft nicht an das für die eigentliche Fahndung zuständige Landeskriminalamt weitergegeben hatte.

Sippel hatte nach einem Jurastudium in Würzburg seine Laufbahn als Nachrichtendienstler 1987 beim Bundesamt für Verfassungsschutz begonnen. Dort wurde er später Referatsleiter für „Observation“ des Rechts- und dann auch des Linksextremismus. 1998 wurde Sippel zum Leiter der Referatsgruppe „Zentrale Fachfragen“ berufen, die grundsätzliche Fragen des Verfassungsschutzes bearbeitet.

Zumindest für die Befriedung des lange als Skandalbehörde belächelten Thüringer Verfassungsschutzes erhielt Sippel zum Abschied Dank. Nach den erheblichen Turbulenzen in den 1990er Jahren sei es ihm gelungen, „das Amt neu aufzustellen“, erklärte Thüringens Innenminister.