Analyse: Von der Außenlinie aufs Spielfeld
München (dpa) - Innenminister Thomas de Maizière muss sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorgekommen sein wie im falschen Film. Schon 2011 hatte er sich kurz nach seinem Amtsantritt als Verteidigungsminister für mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt ausgesprochen.
„Das sehe ich als politische Führungsaufgabe einer Regierung an“, sagte er damals. Bei seiner Regierungschefin Angela Merkel fand er drei Jahre lang kein Gehör.
Jetzt ist Merkel zwar immer noch Kanzlerin, aber nun ist Ursula von der Leyen (CDU) Verteidigungsministerin. Und was passiert? Plötzlich reden alle von einer stärkeren Rolle Deutschlands in der Welt - außer de Maizière. Man kann sich aber gut vorstellen, dass er sich eine Rede wie die von Bundespräsident Joachim Gauck am vergangenen Freitag schon ein paar Jahre früher gewünscht hätte.
„Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen“, sagte Gauck. Steinmeier wiederholte diesen Satz auf der Sicherheitskonferenz fast wortgleich. Dass die neue Tonlage jetzt erst angeschlagen wird, hat mehrere Gründe.
In der vergangenen Legislaturperiode war Deutschland noch sehr mit sich selbst und der Bewältigung der Euro-Krise beschäftigt. Der Kampfeinsatz in Afghanistan war in seiner schwersten und verlustreichsten Phase. An noch mehr militärische Verantwortung mochte angesichts vieler toter deutscher Soldaten und einer mehrheitlichen Ablehnung der Mission in der Bevölkerung niemand so recht denken. Jetzt geht der Kampfeinsatz in Afghanistan dem Ende zu. Für die Bundesregierung entfällt damit ein Alibi, sich aus anderen Einsätzen wie etwa dem vor drei Jahren in Libyen herauszuhalten.
Die Aufbruchsstimmung in der deutschen Außenpolitik hat aber auch mit Personen zu tun. Der frühere Außenminister Guido Westerwelle hielt vier Jahre lang die „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ hoch. Mit Steinmeier führt jetzt wieder ein sicherheitspolitischer Aktivist das Auswärtige Amt, der einem militärischen Eingreifen als „ultima ratio“ weniger reserviert gegenübersteht. Steinmeier war Kanzleramtschef, als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) deutsche Soldaten auf den Balkan und nach Afghanistan schickte. Bis heute sind die dortigen Einsätze die größten und gefährlichsten der Bundeswehr.
„Deutschland ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“, sagte Steinmeier in München. Und von der Leyen betonte, Gleichgültigkeit sei keine Option, wenn es um Krisenbewältigung gehe.
Was bedeutet die neue „Kultur der Einmischung“ aber konkret? Bisher ist sie nur eine Veränderung der Haltung, die an den Taten gemessen werden wird. Als erstes Signal nennt Steinmeier die deutsche Beteiligung an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen. Von der Leyen führt die Entsendung von bis zu 70 zusätzlichen Soldaten für eine Ausbildungsmission im westafrikanischen Mali an und - vielleicht - die Entsendung eines Sanitätsflugzeugs in die Zentralafrikanische Republik.
Von den US-Verbündeten wurde das auf der Münchner Sicherheitskonferenz wohlwollend zur Kenntnis genommen. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel begrüßte die deutsche Bereitschaft zur Entsendung von Truppen. Und US-Außenminister John Kerry bekräftigte, Amerika brauche ein starkes Europa. „Sich zurückzuziehen ist keine Option.“
Steinmeier und von der Leyen wollen die stärkere deutsche Rolle bei der Krisenbewältigung zunächst einmal vor allem politisch verstanden wissen. Ernst genommen wird dieser Anspruch von den Verbündeten aber wohl nur, wenn Deutschland notfalls auch bereit ist, den Kopf hinzuhalten.
Die Nagelprobe wird kommen, wenn es das nächste Mal um die Entsendung von Kampftruppen in einen Konflikt geht. In der Zentralafrikanischen Republik und in Mali schultern die Franzosen diese Last zusammen mit afrikanischen Truppen. Bei der nächsten Intervention könnte das anders sein. Wer außenpolitisch voranmarschieren will, kann dann möglicherweise nicht mehr den Kopf einziehen.