Analyse: Waffenlieferungen oder nicht - EU uneinig wie selten
Brüssel (dpa) - Es war ein Treffen der ganz besonderen Art. Nach zehn Stunden eines erbitterten Streits um Waffenlieferungen für die Aufständischen in Syrien überschlugen sich die Ereignisse.
Während seine Kollegen zum Abendessen schritten, trat der österreichische Außenminister Michael Spindelegger vor die Presse. Er erklärte die Verhandlungen für gescheitert: London und Paris hätten auf die Waffenlieferungen nicht verzichten wollen. Österreich lehne das aber grundsätzlich ab: „Das ist eine völlige Verkehrung der bisherigen Vorgangsweise der Europäischen Union bei allen Konflikten.“
Und deswegen, ließ der Österreicher wissen, werde es auch am 1. Juni keine EU-Sanktionen mehr gegen Syrien geben: Die nämlich hätten einstimmig verlängert oder aber geändert werden müssen. Also keine Einreiseverbote für Regime-Größen, kein Verbot von Investitionen oder Öleinfuhren mehr?
Die anderen Außenminister wurden offenbar bei der Vorspeise von Spindeleggers Hiobsbotschaft überrascht. Über Helfer ließen sie bei den verwirrten Journalisten verbreiten, die Verhandlungen seien keineswegs vorbei, es gebe noch eine Chance auf einen Konsens. Spindelegger sagte bitter lächelnd, das könne er sich nun überhaupt nicht vorstellen: Schließlich habe man ja schon einige Stunden beisammengesessen.
Die Frage, ob und wie man auf das Leid in Syrien mit 80 000 Toten und auf den zunehmenden militärischen Druck reagieren soll, den die Gegner des Regimes von Präsident Baschar al-Assad zu spüren bekommen, hat die EU tief gespalten. Großbritannien und Frankreich argumentierten, Waffenlieferungen erhöhten gerade vor der in Genf geplanten Syrien-Konferenz den politischen Druck auf Assad. Österreich, aber auch viele andere EU-Mitglieder fürchteten, dass erstens ein Rüstungswettlauf mit Russland, dem Waffenlieferanten Assads, beginnen werde. Und dass zweitens Waffen aus EU-Staaten auch in die Hände islamistischer Extremisten fallen könnten.
Das Schreckensszenario, das über der EU schwebte, war das Auslaufen der bis Ende Mai befristeten Sanktionen. Und das sollte unbedingt vermieden werden - vor allem angesichts der bevorstehenden neuen Syrien-Konferenz in Genf. Die Einstimmigkeit, die zur Verlängerung der Sanktionen nötig gewesen wäre, war aber angesichts der diametral auseinanderlaufenden Positionen offensichtlich nicht erreichbar. Und ohne Einigung über die Waffenlieferungen müssen auch alle anderen Sanktionen wegfallen.
„Unfähig sein, zu einem Kompromiss zu kommen - das wäre das Allerschlimmste. Dann könnten wir hier, glaube ich, den Laden zumachen“, hatte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn ahnungsvoll-ängstlich gegrummelt. „Dann bräuchten wir als Außenminister der Europäischen Union überhaupt nicht mehr zu existieren.“ Und der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hatte gemahnt: „Uneinigkeit in der EU, das wäre ein falsches Signal.“ Je geschlossener die EU handele, desto größer sei ihr Einfluss.
Davon war am Montagabend in Brüssel aber nicht viel zu sehen. So machte Spindelegger keinen Hehl daraus, dass er „schon ein wenig verärgert“ sei: „Das ist ein bitterer Nachgeschmack: Wenn zwei unbedingt wollen, dass etwas in eine andere Richtung gelenkt wird, können nicht 25 einfach hinterherspringen“, formulierte er. Nicht nur Österreich, auch andere EU-Staaten wollten nun versuchen, die bisherigen EU-Sanktionen mit nationalen Gesetzen zu beschließen.