Analyse: Wahlverlierer Taliban

Kabul (dpa) - Dschamschid Khan steht am Samstagmorgen schon vor Beginn der afghanischen Präsidentenwahl in der wachsenden Schlange vor dem Wahllokal in Kabul.

Analyse: Wahlverlierer Taliban
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„Wir haben Angst vor den Taliban, aber sie können uns nicht von der Wahl abhalten“, sagt der 24-jährige Übersetzer. In einem anderen Wahllokal in der Hauptstadt hat der 60-jährige Lehrer Sadruddin gerade seine Stimme abgegeben. Sein rechter Zeigefinger ist mit nicht abwaschbarer Tinte markiert, damit soll Mehrfach-Stimmabgabe verhindert werden. „Die Taliban reden viel“, meint er. „Wir haben keine Angst vor ihnen.“

Nach Schließung der Wahllokale sieht es so aus, als habe der furchtlose Lehrer die Aufständischen richtig eingeschätzt. Vollmundig hatten die Taliban noch kurz vor der Wahl angekündigt: „Jedes Wahlzentrum wird gefährdet sein, und eine Welle von Angriffen wird im ganzen Land beginnen.“ Zwar verübten sie vereinzelte Anschläge, und es gab Tote, doch zu dem angedrohten Blutbad kam es nicht. In der Hauptstadt Kabul - in der mit spektakulären Anschlägen gerechnet wurde - blieb es den ganzen Wahltag über ruhig.

Auch die Strategie der Taliban, die Menschen mit Terrordrohungen vor der Wahl abzuschrecken, ist nicht aufgegangen. In Kabul bildeten sich trotz strömendem Regen lange Schlangen vor den Wahllokalen, auch etliche Frauen gaben ihre Stimme ab - etwa die 18-jährige Schabana. Natürlich sei sie zur Abstimmung gegangen, sagt die Erstwählerin selbstbewusst, Frauen seien schließlich gleichberechtigt. „Meine ganze Familie wählt. Es ist unser Recht, unseren Anführer zu wählen.“

In manchen Gegenden war der Andrang so groß, dass die Wahlkommission (IEC) die Öffnungszeiten der Wahllokale im ganzen Land um eine Stunde verlängerte. In einigen Wahllokalen gingen die Stimmzettel aus, die IEC musste Nachschub liefern. Die Wahlkommission schätzte die Zahl der Wähler nach Schließung der Wahllokale auf sieben Millionen - bei zwölf Millionen Wahlberechtigten ein sehr respektabler Wert. Bei der Wahl vor fünf Jahren waren 5,8 Millionen Stimmen abgegeben worden, von denen 1,2 Millionen wegen Betrugs für ungültig erklärt wurden.

In welchem Ausmaß bei der Wahl am Samstag betrogen wurde und ob Betrug zum Konflikt zwischen Kandidaten führen wird, wird sich erst in den kommenden Tagen zeigen. Ein Endergebnis hat die Wahlkommission erst für den 14. Mai avisiert. Allerdings waren die Vorkehrungen deutlich schärfer als bei der Katastrophenwahl 2009. Damals wurde der massive Betrug vor allem dem Lager von Präsident Hamid Karsai angelastet, der nun nicht mehr antrat.

Afghanische Wahlbeobachter von der Stiftung für Transparente Wahlen (Tefa) stellten der Abstimmung vom Samstag nach einer vorläufigen Bewertung ein zufriedenstellendes Zeugnis aus: „Die Gesamtbewertung deutet bislang darauf hin, dass der Wahlprozess gut lief.“

Die Wähler verpassten den Taliban jedenfalls eine schallende Ohrfeige. „Bei der Störung der Wahl zu versagen wird bedeuten, dass sie nach der Wahl dumm dastehen werden“, sagte der stellvertretende UN-Sondergesandte Nicholas Haysom kurz vor der Abstimmung. Dass dieser Fall nun eingetreten ist, mag ein Anzeichen dafür sein, dass die Taliban schwächer sind als gedacht - und dass die afghanischen Sicherheitskräfte kompetenter sind, als gemeinhin angenommen wurde.

„Der Feind hat versprochen, die Wahlen aufzuhalten“, sagte Innenminister Umer Daudsai nach der Schließung der Wahllokale. „Unsere Kräfte haben Sicherheit versprochen. Heute kann ich mit Überzeugung sagen, dass der Feind gescheitert ist.“

Auch der Wähler Madscheed Karar ist der Ansicht, dass der Terror der Taliban keine Zukunft hat. „Die einzige Botschaft an die Taliban ist, dass sie sich dem demokratischen Prozess anschließen müssen“, sagt der 29-Jährige kurz vor der Schließung der Wahllokale. „Die Menschen haben dem Weg der Gewalt eine Absage erteilt.“