Das EuGH-Urteil im Detail Aus für deutsche Vorratsdatenspeicherung?
Luxemburg (dpa) - „Dieses Urteil ist der Hammer!“, erklärt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast auf Twitter - doch die Bundesregierung wiegelt ab. Der Europäische Gerichtshof hat eine weitreichende Vorratsdatenspeicherung für illegal erklärt.
Persönliche Daten von Telefon- und Internetnutzern dürften nicht allgemein und unterschiedslos gespeichert werden, entschieden die Luxemburger Richter (Rechtssachen C-203/15 und C-698/15). Wichtige Fragen und Antworten zum Urteil:
Was bedeutet das Urteil für Deutschland?
In Deutschland verpflichtet ein Gesetz von 2015 Telekommunikationsanbieter, Nutzerdaten spätestens ab dem 1. Juli 2017 bis zu zehn Wochen aufzubewahren. Bei Anrufen sollen Zeitpunkt und Dauer der Gespräche gespeichert werden. Im Internet sollen IP-Adressen sowie Details zu deren Vergabe vorgehalten werden - E-Mails sind ausgenommen. Im Kampf gegen Terror und schwere Verbrechen sollen Ermittler auf die Informationen zugreifen können.
Aus Sicht der Bundesregierung stehen die deutschen Regelungen nach dem EuGH-Urteil nicht grundsätzlich in Frage. Die Entscheidung müsse zunächst sorgfältig ausgewertet werden, sagte eine Sprecherin des Justizministeriums am Mittwoch in Berlin. Die hiesigen Regelungen seien aber auf jeden Fall restriktiver als die jetzt vom Gericht geprüften. Das Innenministerium äußerte ebenfalls als erste Einschätzung, dass die Regeln im Lichte des EuGH-Entscheids halten.
Das sehen Datenschützer und manche Politiker ganz anders: „Die Bundesregierung muss die Vorratsdatenspeicherung, wie sie derzeit geregelt ist, jetzt ändern“, sagt Jan Philipp Albrecht von den Grünen im Europaparlament. „Die Speicherung von Daten auf Vorrat darf nur im Ausnahmefall erlaubt sein und muss sich auf die je nach Anlass absolut notwendigen Daten beschränken.“ Auch die Piratenpartei und der Verein Digitale Gesellschaft halten das deutsche Gesetz nun für rechtswidrig.
Wann ist Vorratsdatenspeicherung laut EuGH erlaubt?
Die Richter betonten, erlaubt sei nur eine gezielte Vorratsdatenspeicherung, die „auf das absolut Notwendige beschränkt ist“. So muss die Überwachung auf Personenkreise begrenzt werden, „deren Daten geeignet sind, einen zumindest mittelbaren Zusammenhang mit schweren Straftaten sichtbar zu machen“. Der Kampf gegen schwere Kriminalität oder die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit können Gründe für die Speicherung der Daten sein. Sie müssen zudem innerhalb der EU gespeichert werden.
Wer darf wann auf die Daten zugreifen?
Behörden dürfen laut EuGH in der Regel nur dann Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten erhalten, wenn dies zuvor von einem Gericht oder einer anderen unabhängigen Stelle erlaubt wurde. Zudem entschied der EuGH, dass die Betroffenen über einen Zugriff auf ihre Daten informiert werden müssen, wenn dies die Ermittlungen nicht mehr gefährde.
Warum ist das Thema so umstritten?
Wenn die Daten nach Belieben verwendet werden dürften, ließe sich daraus sehr viel über Menschen ablesen: Deutlich wird, wer wann wo mit wem telefoniert (wenn auch nicht worüber). Zudem speichern die Telefongesellschaften zum Beispiel, wer wie lange mit welcher IP-Adresse im Internet surft.
Das alles geschieht unbemerkt - was beim Bürger schon mal das Gefühl hervorrufen könne, „dass ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen Überwachung ist“, wie die Luxemburger Richter anmerken. Ohne strenge Regeln seien freie Meinungsäußerung und der Schutz der Privatsphäre in Gefahr.