„Das Leben geht weiter“ Berliner Weihnachtsmarkt wieder offen

Berlin (dpa) - „Warum“ steht in roten, handgeschriebenen Buchstaben auf einem Pappstück vor der Berliner Gedächtniskirche. Zwischen weißen Kreuzen leuchten Kerzen.

Tannenzweige und ein paar Fähnchen geben dem improvisierten Gedenkort etwas Farbe. Knapp ein Jahr nach dem Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz will die Sehnsucht nach Mandeln und Glühwein nicht so richtig aufkommen. Es ist wohl noch zu früh an diesem kalten Montag, die Schausteller öffnen ihre Geschäfte, putzen die Buden heraus, hoffen in den kommenden vier Wochen auf viele Kunden - und auf Ruhe.

Die Betonbarrieren rund um den Platz erzählen eine andere, traurige Geschichte. Die Klötze standen nicht hier, als am 19. Dezember 2016, auch ein Montag, der schwarze Lastwagen sich in den Markt bohrte. Insgesamt starben 12 Menschen und weitere 70 wurden verletzt. So schwebt ein Jahr danach über den Ständen noch immer die Frage, warum ein paar Tage vor Weihnachten im vergangenen Jahr hier Menschen getötet wurden.

Martin Blume kann die Neugierde verstehen, wenn man ihn nach jenem Abend fragt. „Das liegt in der Natur des Menschen“, sagt er vor seinem Imbiss mit Spezialitäten vom Holzkohlengrill. Blume stand nur wenige Meter von dem Flecken entfernt, an dem der Truck endlich zum Stehen kam. In diesem Jahr ist der Optimist sogar mit einem weiteren Stand dabei: Das Weihnachtsgeschäft werde schon laufen.

Ja, klar sei er betroffen, sagt Jorge C., er denke immer wieder an den Tag zurück, auch wenn er nicht Augenzeuge des Anschlags gewesen sei. Seit zehn Jahren verkauft der Peruaner hier Schmuck aus Indien und Thailand. Für seinen Stand muss er 10 000 Euro Gebühr plus Kaution hinblättern, das Geld muss wieder eingespielt werden, früher sei das Geschäft sowieso besser gewesen. „Viel Trauer können wir uns nicht leisten.“ Bis Weihnachten werde er jeden Tag zehn Stunden in der Kälte stehen. „Das Leben geht weiter“, sagt er.

Von den Polizeipannen vor dem Anschlag und den Lücken bei den Ermittlungen zum islamistischen Täter Anis Amri wissen hier, zwischen Gedächtniskirche und Europa-Center, einige Bescheid - andere haben nur eine Ahnung von der tragischen Dezembernacht und ihren Folgen. Direkt am Montag wird eine neue Ermittlungspanne publik: Fotos, auf denen Amri mit Waffen posiert, seien bei der Auswertung seines Handys wegen eines Datenfilters übersehen worden, räumte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) ein.

Michaela ist eigens zum Weihnachtsmarkt für ihre Firma nach Berlin gekommen. Die Nordirin verkauft Silberbroschen und Ketten. Erinnerungen an Terror und Gewalt bringen sie nicht so leicht aus der Fassung. Sie spricht von Leidensfähigkeit, die sie wie ihre Landesleute in den Jahren der Gewalt daheim erlernt habe. Und sowieso sei Berlin „great“.

„Das Thema beschäftigt schon die Menschen“, sagt David Eckel, Sprecher des Schaustellerverbands. Die Geschäftsleute seien in diesen Tagen unter Druck, sagt Eckel, vor allem aber, weil sie ihre Buden aufbauen müssten. „Das ist viel Arbeit.“

Der Markt sehe weitgehend wieder aus wie in den vergangenen Jahren, hatte Verbandschef Michael Roden verkündet. Fast alle Betreiber seien wieder dabei. Man rechne wie in den Vorjahren zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Besuchern. Am Montagabend (19.00 Uhr) wollten zu einer offiziellen „Eröffnung im Kerzenschein“ auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Innensenator Andreas Geisel (beide SPD) kommen.

Das Mahnmal, das zum Jahrestag des Anschlags, hier eingeweiht werden soll, wird die Frage nach dem Warum wohl auch nicht beantworten. Ein goldener Riss - Metall, in den Boden des Platzes gegossen - wird an die Opfer erinnern. An dem Tag soll der Markt geschlossen bleiben. Aber nur an dem Tag.