Scharfe Selbstkritik Blind auf dem Trump-Auge: Was US-Medien nun lernen wollen
Washington (dpa) - Amerikas Newsrooms werden für die nächsten Jahre ziemlich entvölkert sein, wenn es nach einer Reihe von US-Chefredakteuren geht. Das liegt weniger an den Schockwellen der Werbekrise als an jenen, die das Nicht-Voraussehen Donald Trumps in den USA ausgelöst hat.
Der Katzenjammer ist gewaltig, das Wehklagen reichlich - und groß die Entschlossenheit, es nun anders zu machen. „Diese Stadt hat keinerlei Berührungspunkt mit Amerika.“ Sagt CNN-Moderator John King, vielen TV-Zuschauern auch in Deutschland aus der Wahlnacht bekannt, über die Hauptstadt Washington. Andere stimmen zu: New York, DC, die ganze Ostküste, deren Medien seien doch nur eine einzige Blase. Und wer den Kontakt mit dem anderen - vielleicht gerade besser: eigentlichen - Amerika verloren habe, der habe auch nicht sehen können, auf welchem Boden Trump habe gedeihen können.
„Wir müssen viel besser sein, die tiefen Teilungen zu erklären, die in Amerika existieren. Wir müssen viel besser darin werden, über die Leute zu schreiben, die Trump wählten. Was sie antreibt, über ihre Ängste. Wir brauchen mehr Kontakt“, sagt der Chefredakteur der „New York Times“, Dean Baquet, dem Portal Politico.
„Die wichtigste Geschichte, um die wir uns in den kommenden Jahren kümmern müssen, ist, die Welt der Arbeitenden besser zu verstehen, und warum sie sich von Kräften wie der Globalisierung und dem technologischen Wandel abgehängt fühlen“, sagt Baquet.
Sein Kollege Marty Baron von der „Washington Post“ warnt davor, Berichterstattung weiter vor allem auf Annahmen zu bauen. „Wir müssen wirklich vorsichtiger sein. Eine Menge unserer Annahmen haben einfach nicht gestimmt“, sagt Baron. „Wir müssen mehr raus, und wir müssen mit mehr Leuten reden. Man hätte die Sorgen und Nöte der Arbeiterklasse sehr wohl entdecken können, bevor es den Kandidaten Trump gab.“
Fast niemand hat dieses Wahlergebnis kommen sehen, auf einzelne abweichende Umfragen und skeptische Hinweise auch in Redaktionen wurde zu wenig gehört. Jim Rutenberg von der „New York Times“ geht mit der eigenen Zunft streng ins Gericht. „Die meisten Journalisten sind blind gegenüber Themen wie Religion oder ländlicher Bevölkerung, und sie sind gegenüber armen Weißen ebenso voreingenommen wie gegenüber der Arbeiterklasse.“ Wer nur darüber lacht, was er nicht versteht, kommt auch in keine inhaltliche Auseinandersetzung.
Es würde allerdings wenig bringen, sagt Rutenberg, jetzt scharenweise einfach Reporter raus ins „Flyover Country“ zu jagen: „Flyover Country“ ist in den USA ein stehender Begriff für die gewaltige Landmasse zwischen den viel bewohnten Küsten. Der Teil des Landes also, über den man immer nur hinwegfliegt. Wo man aber selber noch nie war.
Problem: Die meisten Medien sind in den USA nun mal an den Küsten konzentriert. „Dank des rapiden Niedergangs der regionalen und lokalen Zeitungen“, sagt Alec McGillis von ProPublica, „weiß kein Mensch mehr wirklich, was in diesen Orten eigentlich vor sich geht.“
Viel mehr als um schlichte Besuche einzelner Orte gehe es darum, den Seelenzustand dieses „Flyover Country“ zu erfassen, sagt Rutenberg. Der sei offensichtlich so gewesen, dass den Menschen die Themen Trumps so wichtig waren, dass an ihnen auch alle Faktenchecks abprallten, alle kritischen Porträts, alle Auflistungen der Fehler. Als hätten die Medien nicht verstanden, worum es eigentlich geht.
Katrina vanden Heuvel von „The Nation“ stößt ins gleiche Horn. „Die Medien haben sich so darauf konzentriert, Trump zu beschreiben, dass sie die eigentlichen Sorgen der Leute völlig vergessen haben.“ Das könnte ein schwerer Kollateralschaden der Personalisierung sein, eines der großen Trends auch der politischen Berichterstattung der vergangenen Jahre.
„Medien sind Repräsentanten einer bestimmten Klasse. Sie sind keine nationale Institution mehr“, sagt Gawker-Gründer Nick Denton. Das könnte zu einem klassischen Paradoxon führen. „Die Leute sehen die Medien als Säulen eines elitären Systems, das sie gerade abgelehnt haben“, meint die frühere „New York Times“-Chefredakteurin Jill Abramson. Wenn jetzt mehr Vertreter eben dieses Systems zu ihnen kämen - warum und worüber sollten sie mit ihnen reden?
Selbstbezichtigungen? Gut und schön, sagt die famose Margaret Sullivan von der „Washington Post“. Aber Bangemachen gelte nicht, auch wenn Kandidat Trump Medien wüst beschimpft und ihnen künftige Klagen in Aussicht gestellt hat. Mehr denn je brauche ein Präsident Trump journalistische Begleitung. Aber stärker, mutiger und mit geraderem Rücken, als sie jemals war.
Was nun keinesfalls passieren dürfe, sagt Sullivan, sei jede Form eines raschen Weichspülens des früheren Kandidaten. Gestern Hetzer, heute Staatsmann a la „Trump wird vielleicht halb so schlimm“, im US-Fernsehen ist das schon zu besichtigen. Sie mahnt journalistische Grundtugenden an. Härte, Tiefe, Kenntnis, Fairness. „Nachrichten kosten Geld“, sagt Sullivan. „Und Prozesse auch. Wir werden es brauchen.“