Trauerakt in Straßburg Danke, merci, thank you - Europa nimmt Abschied von Kohl
Straßburg/Speyer (dpa) - Die Flaggen wehen auf halbmast. Die Soldaten machen behutsame, kleine Schritte. Vier an jeder Seite. Ganz vorsichtig setzen die Offiziere des Wachbataillons der Bundeswehr den Sarg in der Mitte des Parlaments in Straßburg ab.
Er ist eingehüllt in die Europa-Flagge mit den gelben Sternen. Das Uni-Orchester der Stadt stimmt den Trauermarsch von Georg Friedrich Händel an. Gegeben hat es das noch nie. Es ist der erste Trauerakt der Europäischen Union für einen großen Politiker aus ihren Reihen: Für Helmut Kohl, den Altkanzler, Kanzler der Einheit, den großen Europäer.
Seine Witwe Maike Richter-Kohl wird umrahmt von Europäern - EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani. Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt zwischen Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton Platz.
Die Vertreter der EU-Institutionen, Merkel, Macron, Clinton oder der russische Ministerpräsident Dimitri Medwedew - alle erinnern an Kohls Vermächtnis für Europa. Im Zentrum der historische Moment, als sich der frühere Bundeskanzler und der damalige französische Präsident François Mitterrand 1984 an den Weltkriegsgräbern von Verdun die Hände reichten. Juncker nennt Kohl einen „Nachkriegsgiganten“, einen, der zum „kontinentalen Monument“ geworden sei. Er wird aber auch persönlich. „Es spricht hier nicht der Kommissionspräsident, sondern ein Freund, der Kommissionspräsident wurde“, sagt Juncker.
Er sei wohl der einzige unter den Trauergästen, der Kohl in einer Sitzung einmal habe weinen sehen. Bei dem Auftakt der Verhandlungen über die EU-Osterweiterung. Und Clinton denkt an gemeinsames gutes Essen zurück: „Hillary sagte, ich liebe ihn, weil er der Einzige war mit einem größeren Appetit auf Essen als ich. (...) Er versuchte, mich dazu zu bringen, ein paar Dinge zu essen, die ich nicht essen wollte.“
Vor allem aber ist die Dankbarkeit groß. Der Luxemburger Juncker bedankt sich in mehreren Sprachen. Tajani schließt auf Deutsch mit den Worten: „Danke Helmut Kohl.“ Am persönlichsten wird Merkel: „Lieber Bundeskanzler Helmut Kohl, dass ich hier stehe, daran haben Sie entscheidenden Anteil“, sagt sie und verneigt sich vor dem Sarg ihres politischen Ziehvaters. Er hatte die in der DDR aufgewachsene Pfarrerstochter nach dem Mauerfall in sein Bundeskabinett geholt.
Anschließend geht Merkel, deren Verhältnis zu Kohl am Ende schwierig war, zunächst direkt zu ihrem Platz zurück. Sie überlegt es sich dann aber noch einmal anders: Merkel steht auf und geht zu Kohls Witwe, um ihr die Hand zu schütteln. Richter-Kohl ist erst überrascht und will dann gar nicht mehr loslassen. Als Merkel kurz vorher in ihrer Rede über sie sagt, sie habe den Altkanzler „voller Hingebung und Liebe begleitet bis zuletzt“, muss Richter-Kohl schlucken. Es sind diese Momente, die der nüchternen Umgebung etwas Berührendes geben.
Die Soldaten bringen den Sarg nun hinaus. Mit dem Hubschrauber wird Kohl zurück nach Deutschland gebracht. Mit dem Schiff wird er zur Totenmesse nach Speyer gefahren, wo er beerdigt wird.
Bevor sich der Dom in Speyer für die 1500 geladenen Gäste am Nachmittag öffnet, treffen Gottesdienstteilnehmer zur öffentlichen Live-Übertragung im Domgarten ein. Einer der ersten ist Udo Spannenkrebs aus dem sächsischen Hohenstein-Ernsttal (Kreis Zwickau). Er ist mit dem Motorrad nach Speyer gefahren, um Abschied vom Kanzler der Einheit zu nehmen: „Ich habe Helmut Kohl so viel zu verdanken: Ich bin frei geworden.“
Der 55-Jährige hat sich eine Deutschland-Fahne über seine Motorradjacke gelegt und freut sich, dass er mit dem gedruckten Programmheft für das Requiem eine Erinnerung zum Mitnehmen bekommen hat. „Helmut Kohl ist ein deutscher Patriot gewesen und er hat noch geführt, solche Leute fehlen heute.“